Literarischer Ausflug Grey Street

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“Literatur auf der Spur”Grey Street Writers
Literarische Ausflüge in Durban/KwaZulu-Natal, Südafrika

 

 

Weitere literarische Textauszüge unter Texte Grey Street

 

GESCHICHTE

 

Grey Street ist eng verbunden mit der Geschichte der indischen Bevölkerung in Südafrika, insbesondere in Durban, wo sie sich “eine Heimat fern der Heimat” schuf. Es waren vor allem Ver­trags­arbeiter, die ab Ende des 19. Jahrhunderts von den Briten für die Arbeit auf den Zucker­plantagen der Kolonie Natal aus Indien geholt wurden, aber es wanderten zu der Zeit auch indische Händler und Geschäftsleute, vor allem aus dem Gujarat, nach Südafrika ein. Ein großer Teil der Einwanderer blieb in Südafrika und in Durban lebt heute die größte asiatische Bevöl­ke­rung südlich der Sahara; der Handel mit Indien wurde zu einem wichtigen Teil der lokalen Wirtschaft.

Grey Street, vor kurzem nach dem prominenten Anti-Apartheid-Aktivisten in Dr Yusuf Dadoo Street umbenannt, jedoch bei den Ein­heimischen immer noch unter dem alten Namen bekannt, ist der Ort, an dem sich die indischen Migranten Natals unvermeid­lich einfanden. Ebenso unver­meid­lich schreiben südafrika­nisch-indische Autorin­nen und Autoren, Nachfahren dieser ersten Immigranten, in ihren Werken über das Grey Street Viertel. Sie beschreiben die engen Bindungen in dieser Gemeinschaft oder auch die indische Architektur der Gebäude, die ihre Vorfahren errichteten. Autorinnen/Autoren, wie Dr. Goonam (Coolie Doctor), Phyllis Naidoo (Footprints in Grey Street), Aziz Hassim (The Lotus People) und Imraan Coovadia (The Wedding) haben die komplexe und widersprüchliche Vergangenheit der geschäftigen Straßen, Passagen und Märkte des Grey Street Viertels rekon­struiert. Dieses ist jetzt, in der Post-Apartheid-Ära, nicht mehr so homogen wie früher, aber es hat überlebt. Als das alte Geschäfts- und Wohnviertel der indischen Gemeinschaft Durbans bleibt es unbestritten deren kulturelles Herz.

Grey Street erhält einen ganz speziellen indischen Charakter durch die “Bürgersteige mit Säulen­gängen, engen Sträßchen, die zu dahinterliegenden Höfen führen, und die Vorliebe für die präch­tige und geschwungene Architektur der 1920er und 30er Jahre”. Das Grey Street Viertel grenzt im Süden an die Commer­cial Road (jetzt: Dr AB Xuma Street), im Norden an Derby Street, im Osten an Field Street (jetzt: Joe Slovo Street) und im Wes­ten an Brook und Cross Street. In The Lotus People beschreibt Aziz Hassim, wie in den 1950er und 1960er Jahren die unter­schied­lichen Straßen verschiedene Funk­tio­nen hatten. Im östlichen Stück der Victoria Street (Bertha Mkhize Street) lagen die Theater, der west­liche Teil war Märkten und Lebens­mittel­geschäften vorbehalten. Grey Street (Dr Yusuf Dadoo Street) selbst war das Mekka für Textilien, mit der neuesten Mode aus London, vom örtlichen Handwerk kunstvoll gefertigt. Die Queen Street (Denis Hurley Street) hatte die Friseure auf der einen Seite und die Läden für Haushalts-, Eisen- und Holzwaren auf der anderen, während Pine Street (Monty Naicker Road) das Gebiet der Schneider war. In Prince Edward Street (Dr Goonam Street) lagen die Geschäfte für Saris und Schmuck, und überall gab es verstreut Teesalons, die Konfekt anboten. Das Viertel ist immer noch weitgehend in diese Abschnitte aufgeteilt, auch wenn die alten Läden mit dem Zustrom billiger chinesischer Waren konkurrieren müssen.

Die Werke der Grey Street Autorinnen/Autoren haben alle, was wenig überrascht, politische Zwischen­töne. Nicol Street Square oder ‘Red Square’ wurde zu einem wichtigen Ort für politische Ver­sammlungen und Reden. 1946 erließ die Regierung, was später von der Apartheidregierung fortgeführt wurde, den sogenannten “Ghetto Act”, ein Gesetz zur Segregation der indischen Bevöl­kerung (Asiatic Land Tenure and Indian Representation Act). Der Widerstand gegen diese Diskrimi­nierung wurde mit gewalt­freien Aktionen in Durban initiiert – die Ärztin Dr. Goonam, aktiv im Natal Indian Congress, gehörte mit Dr. Monty Naicker zu den Organisatoren. Naicker, auch aus Durban, war viele Jahre Präsident des Natal Indian Congress (NIC), gegründet 1894 von Mahatma Gandhi, und des South African Indian Congress (SAIC). In dieser Zeit entstand in Südafrika erstmalig eine Zusammenarbeit von indischen und schwarzen Südafrika­nern, von SAIC und ANC. Das Haus der Familie der Ärztin Dr. Goonam im Grey Street Viertel wurde von der Regierung enteignet und niedergerissen, um Platz zu schaffen für Häuser von Weißen. Nach ihrer Verhaftung wegen politischer Aktionen des passiven Widerstands gegen das “Ghetto-Gesetz” hielt Dr. Goonam vor Gericht folgende Rede: … Ich habe gegen das unter­­­drückerische und verderbliche Gesetz protestiert, das kürzlich gegen mein Volk erlassen wurde, ohne dass dieses dabei ein Mitsprache­recht gehabt hätte. Dieses Gesetz bedeutet Unglück, Ruin und nahezu Leibeigenschaft für unser Volk, das sehr viel zum Wohlstand dieses Landes beige­tragen hat. Süd­afrika, so werden wir oft erinnert, sei ein demokratisches Land, und doch haben 9 Millionen Menschen in diesem Land kein Stimmrecht bei seiner Regierung. Demokratie bedeutet nach Abraham Lincoln Herrschaft des Volkes, durch das Volk und für das Volk. Ich stehe hier, um diese Interpreta­tion von Demokratie zu verteidigen.[…]

Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage, Sir, und fordere vom Gericht die maximale Strafe, die das Gesetz hergibt, denn ich sehe es als ein Privileg an, die volle Macht des Geset­zes zu erfahren, wenn ich die Rechte meines Volkes verteidige…

Viele der bedeutenden Grey Street Persönlichkeiten sind inzwi­schen weggezogen oder verstorben und die Atmosphäre einer eng verflochtenen Gemeinschaft, wie sie in den Texten beschrie­ben wird, gibt es nicht mehr. Der Grey Street Rundgang spürt alte Identitäten und Orte auf, verfolgt gegenwärtige Pfade in diesem Viertel und vermittelt, gewürzt mit Textstellen aus ihren Werken, die Sicht und Wahrneh­mung der Autorinnen und Autoren.

Als ein historisch-literarischer Ort kann Grey Street mit Sophia­town in Johannesburg und District Six in Kapstadt verglichen werden – alle drei waren lebhafte multi-kulturelle Stadtviertel – der Apartheidpolitik zum Trotz. Sophiatown und District Six wurden vom Staat zerstört und bestehen nur noch im nationalen Bewusstsein als Symbole des Widerstands. Grey Street kann, zum Glück, noch besucht werden.

(Siehe auch: Geschichte & Literatur Durban/KZN)

 

AUTORINNEN UND AUTOREN VON GREY STREET

 

Der Grey Street Rundgang bezieht sich auf Aziz Hassim, Phyllis Naidoo, Dr. Goonam und Fatima Meer, die alle während der Apartheid im Grey Street Viertel lebten. Neu zur literarischen Grey Street Szene hinzugekommen sind Mariam Akabor, Autorin von Flat 9, Ravi Govender mit seiner Sammlung Down Memory Lane, die Erzählungen über das “alte” Durban enthält, und Imraan Coovadia, der den Roman The Wedding schrieb. Nicht in erster Linie bekannt als Autor, sondern eine wichtige lokale und internationale Persönlichkeit ist Mahatma Gandhi, der Verbindungen zur Grey Street hatte. (Siehe zu M.K. Gandhi den Ausflug Inanda/INK und Texte Inanda/INK). Ein weiterer berühm­ter Bewohner ist Erzbischof Denis Hurley, der in der Emmanuel Cathedral wirkte, die inmitten der Casbah, der Altstadt, liegt. Hurley war eng mit dem Kampf gegen die Apartheid verbunden und die Kathedrale diente als Zufluchtsort.

 

Grey Street Writers

Aziz Hassim / Phyllis Naidoo / Dr. Goonam  / Fatima Meer / Imraan Coovadia / Ravi Govender

 

Phyllis Naidoo (1928 – 2013) war Mitglied des Natal Indian Congress und der South African Communist Party. Sie war Aktivistin und Autorin und schrieb in ihren politischen Büchern über die Geschichte des Widerstands. Die bedeutsamste Ver­öffentlichung für diesen Rundgang ist Footprints in Grey Street, eine Reihe von Vignetten von Leuten, die sie aus ihrer Zeit in der Grey Street kannte.

Aufgrund ihrer politischen Untergrundarbeit war Phyllis Naidoo 10 Jahre gebannt, erlebte 14 Razzien in ihrem Haus. Wäh­rend dieser Zeit des Haus­arrests studierte sie Jura und quali­fizierte sich 1973 als Rechtsanwältin, konnte aber zunächst nicht prakti­zieren, da sie bei Gericht nicht zugelassen war. Sie arbei­tete mit dem Anwalt Archie Gumede zusammen – das erste Mal, dass es eine solche indisch-afrikanische Zusammenarbeit gab – und bereitete die Dokumente vor, mit denen er vor Gericht ging. Ihr Büro befand sich in der Cross Street, im 7. Stock des Eckhauses.

Als 1976 ihr Bann aufgehoben wurde, eröffnete sie ihre Kanz­lei. Ehemalige Häftlinge von Robben Island sammelten sich bei Phyllis Naidoo, die versuchte, ihnen Arbeit zu beschaf­fen. Ein­mal hatte sie fünf ehemalige Robben-Island-Häftlinge als Boten beschäftigt, einer von ihnen war Jacob Zuma (der gegenwärtige Staatspräsident). Der einzige Ausweg für diese Männer war meist die Flucht aus Südafrika.

 

Dr. K. Goonam (1906 – 1999) arbeitete als Ärztin im Grey Street Viertel in Durban und auch in Indien, Großbritannien, Australien und Zimbabwe. Sie ist jedoch vor allem aufgrund ihrer politi­schen Arbeit bekannt. Zusammen mit den Doktoren Dadoo und Naicker führte sie 1946 die Kampagne des passiven Widerstan­des der indischen Bevölkerung an, die sich gegen das anti-indische Landgesetz richtete, das Inder gewalt­sam von ihrem Land vertreiben und in Ghettos zwingen sollte. Diese Wider­stands­­kampagne kämpfte nicht nur für die Rechte der indischen Bevölkerung, sondern verhalf indischen Frauen auch zu einer unabhängigeren Haltung. Dr. Goonam wurde für ihre politischen Überzeugungen mehrfach inhaftiert.

1990 veröffentlichte sie ihre Autobiografie Coolie Doctor. Ihre Erzählungen vermitteln auf lebendige Weise das Leben der indischen Gemeinschaft in Durban. Während einer ihrer Haus­besuche sagte ein weißes Kind “oh Mummy, der Coolie Doctor ist da”, was sie zum Titel ihres Buches machte.

Während der ersten drei Jahre meiner beruflichen Praxis, war ich sehr beschäftigt, erlitt aber einschneidende Benachteili­gungen, weil ich farbig war… Ich bewarb mich am schwarzen Krankenhaus King Edward VIII um eine Stelle. Ich dachte, meine Chancen wären gut, da ich in der Clearing Station [einer indisch-afrikanischen Klinik] arbeitete, die das Krankenhaus entlastete. Junge weiße Ärzte, die gerade ihre Ausbildung an der Medical School abgeschlossen hatten, wurden in den schwarzen Kranken­häusern angestellt und auch als Assistenzärzte in weißen Kranken­häusern aufgenommen. Meine Bewerbung wurde abgelehnt. Die offizielle Antwort lautete, “es ist die Politik des Landes, dass nicht-europäische Ärzte nicht an staatlichen Krankenhäusern zugelassen werden können, da weiße Kranken­schwestern nicht bereit wären, Anweisungen von farbigen Ärzten entgegen zu nehmen”. (S.55)

(Siehe auch den Auszug bei Texte Grey Street)

 

Fatima Meer (1928 – 2010) wurde im Grey Street Viertel geboren, studierte Soziologie an der Universität Natal und war eine bedeutende Anti-Apartheid-Aktivistin Südafrikas. Sie engagierte sich 1946 bis 1948 in der Kampagne des passiven Widerstands von Inderinnen und Indern Südafrikas und betei­ligte sich später am Aufbau der Durban District Frauenliga. Diese zielte auch darauf ab – nach den Ausschreitungen von schwarzen gegenüber indischen Bewohnern in Durban 1949 – die afrikanisch-indische Zusammen­arbeit zu entwickeln. Meer war Gründungs­mitglied der Federation of Southern African Women (FSAW), eines übergreifenden Zusammen­schlusses von Frauen aus verschiede­nen Bevölkerungsgruppen und Organi­sa­tionen gegen die rassistischen Apartheidgesetze. Die FSAW führte am 9. August 1956 den historischen Marsch der Frauen zum Union Building in der Hauptstadt Pretoria an. Fatima Meer engagierte sich die ganzen Jahre im politischen Widerstand und in Bildungsprojekten gegen die Apartheid, wurde mehrfach ge­bannt und inhaftiert. Auch nach 1990 war sie aktiv in zivil­gesell­schaftlichen Zusammenschlüssen. Sie veröffentlichte mehr als 40 Bücher, vor allem zu histori­schen, sozio-ökonomischen Themen und Biographien von Mohandas Karamchand Gandhi und Nelson Mandela. Letztere erschien in deutscher Überset­zung: Nelson Mandela – Stimme der Hoffnung. Die autorisierte Biographie von Fatima Meer (1989). (Siehe Texte Grey Street).

Aziz Hassim beschreibt in seinem Roman The Lotus People eine Szene im Jahr 1946 am Red Square in Durban, dem Platz vieler politischer Versammlungen: Auf dem Lastwagen Dr. Goonam, den Rücken gegen das Fahrerhaus gelehnt, sie streckte ihre Arme aus, ergriff die Hand einer jungen Frau und führte sie zum Mikrofon. Die war hübsch, noch fast ein junges Mädchen, ihre zornigen Augen in starkem Kontrast zu ihrem Gesicht.

Shaida Suleiman wandte sich an Kantha Daya und fragte “Wer ist das?”, “Fatima Meer”, antwortete Kantha, “schau sie dir an.”

“Aber sie ist noch ein Schulmädchen!”

“Sie ist eine Unruhestifterin. Heera hat sie in der Schule gehört und behauptet, sie sei ein Hitzkopf, eine richtige Kämpferin. Lass sie uns selber hören.”

Als Fatima Meer sprach, klang ihre Stimme so hell wie eine Glocke, ihre Haltung war kämpferisch, ihr Ton herausfordernd, was allen, die sie an jenem Tag hörten, einen Schauer über den Rücken jagte. (S.87)

 

Aziz Hassim (1935 – 2013) verbrachte seine prägenden Jahre mit Freunden in den Straßen der Casbah (Altstadt), einem vor­herrschend indischen, aber auch multikulturellen Viertel. In einem Interview sagte er, dass dort in den fünfziger und sech­ziger Jahren eine Art Romantik und bittersüßer Lebensstil herrschte, der nur im Geist derjenigen lebendig ist, die damals dabei waren. Hassims Debutroman The Lotus People (2002) wurde mit dem Sanlam Literary Award ausgezeichnet und soll verfilmt werden. Der Roman vermittelt die Ereignisse und Stimmung jener Zeit im Grey Street Viertel und wirkte für Hassim wie eine Katharsis. Er nennt ihn seine “persönliche Wahrheits- und Versöhnungskommission”.

Die Casbah an einem Samstagmorgen war wie keine andere Stadt irgendwo in der Welt. Die Straßen und Gehsteige waren sauber, die Schaufenster der Läden frisch blitzblank geputzt, die Käuferinnen, in festliche Gewänder gekleidet, trugen alles vom Sari bis zum Sarong im Hawaii-Stil. Alte Männer mit Turban und langem Hemd schlurften neben der jungen Generation in Jeans und bunten T-Shirts.

Sie kamen von überall, aus den Vororten und Provinzstädten, von entfernt gelegenen Dörfern und kleinen Flecken: Weiße, Schwarze, Braune und alle Schattierungen dazwischen, lächelten völlig Fremden zu und schlenderten auf den Bürgersteigen in fröhlicher Unbekümmertheit, manche auf der Suche nach Sonder­­­angeboten, die meisten einfach unterwegs, um den Tag zu genießen und Freunde und Verwandte zu treffen, bevor sie weitergingen zu Restaurants und Kinos. (S.102)

(Siehe auch die Auszüge bei Texte Grey Street)

Hassims zweiter Roman, Revenge of Kali (2009) spielt am Warwick Triangle in Durban in den 1960er und 70er Jahren. Die Hauptfigur reist in die Vergangenheit der sklavenähnlichen Situation der indischen Vertragsarbeiter auf den Zuckerrohrplan­tagen und zurück in das vielfältige und konfliktreiche Leben in der Casbah in Durban. Historische, politische und soziokultu­relle Erzähl­stränge werden miteinander verwoben. (Siehe den Auszug bei Texte Nordküste)

 

Mariam Akabor (geb. 1984) ist Absolventin des Programms “Kreatives Schreiben” der Universität KwaZulu-Natal. Sie schrieb Flat 9, eine Sammlung von Erzählungen, auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in Grey Street, wo sie in einem heruntergekommenen Mietshaus lebte. Der Gemein­schaftsgeist der Bewohner dieses Miethauses erinnert an den Gemeinschafts­geist, den Hassim in seinem Roman vergegenwärtigt, und zeigt, dass das “alte Grey Street Viertel” in kleinen Ecken des Viertels noch existiert. In der Erzählung “All about the Money” erzählen die älteren Bewohner gerne von früher:

“Erinnerst du dich an die alten Tage? Als Ma uns früh morgens zum Victoria Street Markt schickte, um das allerfrischeste Gemüse und Obst zu kaufen?”

“Wie Ossie immer etwas auf dem Rückweg aß. Vor allem Obst!”

Alle lachten.

“Und wie wir jede Woche Filme im Shah Jehan anschauten? Weißt du, wie sehr dein Vater Dimple Kapadia mochte? Alle wussten, dass er Bobby mehr als zehn Mal im Kino anschaute!”

Noch mehr Gelächter. […]

Der 17-jährige Firoz konnte solche Geschichten auswendig erzählen. Was seinem Vater und dessen Brüdern passierte, als sie jünger waren. Als es die Regel war, arm zu sein, und als die Apartheid jeden Teil ihres Lebens durchdrang.

“Wir konnten nicht an bestimmte Strände gehen, mussten in bestimmten Gebieten leben, weißt du das, Firoz?” fragte sein Vater.

“Daddy, so oft wie du mir diese Geschichten erzählt hast, kommt es mir so vor, als hätte ich das alles erlebt und nicht du.” (S.103-104)

 

Ravi Govender moderiert eine Talkshow im Radiosender Lotus FM in Durban. Down Memory Lane ist eine Sammlung von 35 Geschichten aus seiner gleichnamigen Kolumne in der Zeitung Post. Sie umspannen das Leben in Durban vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den 1960er Jahren und handeln vor allem von Durbans indischer Geschichte.

Es gibt meiner Ansicht nach kein Kino in Durban, das ver­gleich­bar wäre mit dem Shah Jehan in der Grey Street Nr. 275. […] Nur wenn man das Vergnügen hatte, in dem majestätischen Saal zu sitzen, hatte man wirklich ein cineastische Erlebnis! Es ist nicht überraschend, dass das Shah Jehan den gleichen Namen trägt, wie der Herrscher und Schöpfer des anderen prächtigen Gebäudes, des Taj Mahal.

Es wurde Showcase of the Nation [Schaufenster der Nation] genannt und 1956 von den Rajab Brüdern errichtet. Es hatte mehr als 2000 Sitzplätze und dazu gehörten drei private Logen, die sehr begehrt waren. Der erste Film, der dort gezeigt wurde, war “Seven Brides for Seven Brothers” und es war wochenlang nahezu unmöglich ein Ticket zu bekommen. (S.13)


Imraan Coovadia (geb. 1970) wurde in Durban geboren, stu­dier­te in Yale und lebte abwechselnd in New York und Durban. Heute lehrt er an der University of Cape Town Litera­turwissen­schaft und Creative Writing.

Sein erster Roman The Wedding wurde 2001 gleichzeitig in den USA und in Südafrika ver­öffent­licht und stand auf der Short­list des Sunday Times Fiction Award, des Ama-Boeke Prize und des Dublin International Award. Der Roman, der mit Witz erzählt wird, spielt in Indien und Südafrika und handelt von der Reise Ismet Nassins von Bombay nach Durban, der Bezie­hung zwischen Ismet und seiner Ehefrau Khateja und ihrem Leben in Durban.

Am Freitagmorgen nahm Ismet, mit leerem Magen, die namaaz Matte unter den Arm und machte sich auf den Weg zur Grey Street Moschee. Es war nicht weit, aber es war viel los auf den Straßen, Männer lehnten an den Mauern, riefen an ihren Ladentüren laut die Preise aus, kauten paan und spuckten auf die Straße, denn es waren zwei Stunden des Tages ohne Arbeit.

Er ging geradeaus, vorbei an Juwelierläden, wo Halsketten und Elgin und Madix Taschenuhren in roten Samtschachteln aus­ge­stellt waren, an den halaal Metzgereien, die kaltes Fleisch und Würste verkauften, an dem Butterworth Hotel, auf dessen Balkon Männer aus dunkelgrünen Bierflaschen tranken. Er begann sich völlig zu Hause zu fühlen. Er sah die Schwarzen in blauen Over­alls, Männer mit leichtem Körperbau, die in der Hitze schwitzten und Kisten transpor­tier­ten oder murrten, und hatte das Bedürf­nis, den Arm um sie zu legen. Einige indische Männer standen auf dem Bürgersteig, Ladenbesitzer und Anbieter von Billig­kleidung, sie rauchten, unterhielten sich und lachten. (S.176)

Coovadia schrieb weitere Romane: Green-eyed Thieves (2002), High Low In-Between (2009; 2011 auf Deutsch unter dem Titel Gezeitenwechsel), The Institute for Taxi Poetry (2012) und Tales of the Metric System (2014; 2016 in deutscher Übersetzung: Vermessenes Land). Für High Low In-Between erhielt Coovadia 2010 den University of Johannes­burg Prize und den Sunday Times Fiction Prize. (Siehe zu Gezeitenwechsel Texte Grey Street und Orte: Durban Strand & Promenade).

 

BESUCHSORTE DES GREY STREET RUNDGANGS

 

  1. RED SQUARE war ein wichtiger Ort für Massenkundgebun­gen beim Widerstand gegen die Apartheidregierung. Fatima Meer schreibt in Passive Resistance von einem besonders gewalt­­tätigen Angriff weißer Jugendlicher auf die Menschen, die sich auf dem Platz versammelt hatten; Dr. Naicker macht sich über die Sicherheit der Frauen Sorgen und fordert diese auf, sich zurückzuziehen. Aber die Frauen widersprechen und sagen: “Wir sind jetzt dabei und wir werden bis zum bitteren Ende durch­halten…Wir haben gehört, was geschehen ist, aber dadurch sind wir nur noch entschlossener weiterzumachen, und wir werden weitermachen. Wenn wir Opfer bringen müssen, dann werden wir Opfer bringen…”

Der Platz ist jetzt der Parkplatz Nicol Street. Er liegt an der Ecke Dr Yusuf Dadoo Street (vor­mals Grey Street) und Monty Naicker Road (Pine Street) bzw. Dr AB Xuma Street (Commer­cial Road). (Zu Aktionen am Red Square von Albert Luthuli siehe Texte Nordküste).

 

  1. THE CONGRESS HALL, die von Gandhi erworben wurde und wo der Natal Indian Congress seine Treffen abhielt, lag an der Ecke von Grey Street (jetzt Dr Yusuf Dadoo Street) und Commercial Road (jetzt Dr AB Xuma Street). Es ist heute ein niedriges Bürogebäude in der Nähe der Madressa Arcade und der Kathedrale.

 

  1. MADRESSA ARCADE wurde im Jahr 1927 erbaut. Dort lag das erste Geschäft von Yaha, einer Figur in Aziz Hassims Roman The Lotus People. Die Arkade enthält eine Einkaufs­passa­ge mit ungefähr 50 kleinen Läden, von denen Treppen zu darüber liegenden Wohnungen führen. Diese überdachte Säulen­passage vermittelt eine Vorstellung davon, wie die Grey Street der 1950er und 60er Jahre ausgesehen hat. Ravi Govender schreibt, dass man sie außerhalb ihres geographi­schen Kontexts, mit ihren Läden, die alles verkaufen, was man je braucht und … Waren, die aus den Türen quellen, leicht in das bevölkerte Marrakech oder in die suqs von Kairo versetzen könnte.

 

  1. EMMANUEL CATHEDRAL liegt im Herzen der Grey Street (Dr Yusuf Dadoo Street). Das Gebäude ist ein Wahrzeichen in Durban und war in der Mitte der 1980er Jahre ein Zentrum intensiver politischer Aktivitäten. Der verstorbene Erzbischof Denis Hurley, der 60 Jahre lang ein Verfechter der Menschenrechte war, ist insbesondere durch seinen Beitrag zum Kampf gegen die Apartheid bekannt.

 

  1. DIE MÄRKTE DER GREY STREET (jetzt Dr Yusuf Dadoo Street) sind für das Leben der dort lebenden Menschen zentral und spielen auch in den Texten über das Viertel eine Hauptrolle. Der Victoria Street Market wurde in den späten 1980er Jahren gebaut und stellt eine Rekonstruk­tion des ursprüng­­lichen Marktes dar. Er enthält eine große Fülle kleiner Läden, die Kleidung, Kuriositäten, Taschen, Gewürze, günstigen Schmuck aus Afrika und dem Osten verkaufen. Auf der anderen Seite liegt der Fischmarkt und unmittelbar vor dessen Toren ein muti-Markt, ein kleiner Markt für traditionelle Medizin, auf dem Schädel, Häute und andere Teile von Tieren verkauft werden. Daras Laden in The Lotus People von Aziz Hassim verkaufte beinahe alles, was sich wegtragen ließ, von Kosmetika bis zu Besteck, von Messern bis zu Nägeln, Gartenscheren und Schreib­­­waren, Äxte, aromatische Öle, Zaubertränke und nicht-verschreibungspflichtige Medikamente. Er war auch Tabak- und Zeitungsladen, Barbier und inoffizieller Treffpunkt für Anwohner.

 

  1. JUMA MOSQUE ist ein hervorstechendes Merkmal der Grey Street. Sie liegt an der Ecke von Dr Yusuf Dadoo (vormals Grey Street) und Denis Hurley Street (vorm. Queen Street) und ist die größte Moschee der südlichen Hemisphäre: sie hat eine Bodenfläche von 975 m² und kann eine Versammlung von 4500 Gläubigen aufnehmen. Die Moschee bietet Führungen in ihren Gebäuden an. Hassim beschreibt sie in The Lotus People als die prächtige und architektonisch berühmte Juma Moschee, mit ihren Minaretten und vielen Kuppeln… Sie war ein natürliches Wahrzeichen für die Anwohner und Besucher von außerhalb.

 

  1. SHAH JEHAN CINEMA (jetzt umgewandelt in Läden) befand sich in Grey Street Nr. 275. Das Kino war 1956 errichtet worden, fasste 2000 Leute und war ein bedeutender Anziehungs­punkt und Unterhaltungsort für die Menschen im Viertel. Ravi Govender erinnert sich: die ganze wunderbare Erfahrung, damals ins Kino zu gehen, kann man sich heutzutage schwer vorstellen… es war ein Familienausflug, ein Event, auf das man die ganze Woche wartete.

 

  1. DAS FIKTIONALE CORNER SHOP CAFÉ ist der Schau­platz in einer der Kurz­geschich­ten in Miriam Akabors Flat 9. Vorbild ist Haribol’s Superette an der Ecke Grey und Lorne Street (jetzt Ismael C Meer und Dr Yusuf Dadoo Street). Sie schreibt, dass das Café für viele Fabrikarbeiter der Gegend ein Zuhause war; Hausfrauen, vor allem die faulen, die keine Lust zum Kochen hatten, Schulkinder, die nicht mochten, was ihre Mutter ihnen als Lunch eingepackt hatte, und auch Passanten kamen dort hin.

 

  1. “A.K. MANSIONS” (basierend auf dem Afzal Building von Grey Street Nr. 292) ist ein Wohnblock in der Dr Yusuf Dadoo Street, in dem alle Figuren der Erzählungen Miriam Akabors wohnen. Trotz des heruntergekommenen Zustands des Gebäudes ist es eine starke Gemeinschaft, die dort lebt. Es war Routine, dass sich alle Hausfrauen der zweiten Etage der AK Mansions an einem Freitagnachmittag in der Wohnung von Zohra Bibi zum Tee trafen. Das war ihre Art, das Wochenende zu beginnen.

 

BUNNY CHOW. Das Gerücht, dass Bunny Chow, Durbans berühmtes Curry in ausgehöhltem Brot, seinen Ursprung in der Grey Street hat, könnte wahr sein. Die indischen Ladenbesitzer waren als Banias bekannt; Bunny Chow könnte also ursprüng­lich “Essen von den Kaufleuten” bedeuten. Nach ihrer Ankunft in Durban ernährten sich Ismet und Khateja, die Hauptfiguren in Imraan Coovadias Roman The Wedding, vier Tage lang von Bunny Chows vom Café an der Victoria Street: Brotlaibe, bei denen das Innere ausgehöhlt und durch dampfende Portionen von Curry, Fleisch, fetten Butterbohnen und Kartoffelstücken ersetzt wurde. Was vom Brot übrig blieb, war feucht und krustig. Es brach leicht in der Hand. Ismet bestellte sie auf dem Weg am Nachmittag und auf dem Rückweg bekam er sie in einem Karton, so dass er sie nach Hause zu seiner Frau mitnehmen konnte.

Insgesamt ein befriedigendes Mahl, hinuntergespült mit einer Flasche Suncrush oder einer Tasse gesüßten Tees. Aber ein Mann kann nicht allein von Bunny Chows leben […] (S. 157).

Besuchen Sie eines der Restaurants im Viertel, wie das Little Gujarat in der Dr Goonam Street (vormals Prince Edward Street) und probieren Sie diese Spezialität von Durban!

 

Mehr lesen: Weitere literarische Texte – von Dr. Goonam, Aziz Hassim, Fatima Meer und Imraan Coovadia – bei Texte Grey Street

 Grey Street Writers

 

Adressen:

 

Gandhi Development Trust
Website: www.gdt.org.za                Email: gdt-info@gdt.org.za

 

KwaZulu-Natal Tourism
Website: www.zulu.org.za/kzn
Tel: (031) 366 7500                      Fax:(031) 305 6693

 

Juma Masjid Mosque
Ecke Grey und Queen Streets Tel: (031) 304 1518

 

The Emmanuel Cathedral
Cathedral Road
Tel: (031) 306 3595 / 6                  Fax: (031) 306 3597

 

Victoria Street Market
Ecke Queen and Victoria Streets    Tel: (031) 306 4021

 

Zu den anderen Ausflügen:

Ausflug Inanda/INK 

Ausflug Nordküste 

Orte in Durban & PMB

 

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