III: Ende der Apartheid und Gegenwart

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Ende des Apartheidregimes und Übergang ins “neue Südafrika”

 

Das Ende der Apartheid war ein Umwälzungsprozess der politi­schen Machtverhältnisse, der sich über mehrere Jahre hinzog. Die “totale Strategie”, die Premierminister P.W. Botha in den 1980er Jahren verfolgte, als er angesichts des landesweiten massiven Widerstands den Machterhalt des Apartheidregimes und die Vorherrschaft der Weißen mit härtester Repression sichern wollte, war fehlgeschlagen. Zum Widerstand und Aufstand gegen den Apart­heidstaat kamen der Nieder­gang der Wirtschaft Südafrikas, die internationale Isolierung durch Sanktio­nen und die (inzwi­schen) gegen­läufigen Interessen eines Teils der weißen Unternehmerschaft. Das Regime war in eine Sackgasse geraten. 1989 übernahm F.W. de Klerk als Bothas Nach­folger das Amt des Staats­präsidenten und verkündete am 2. Februar 1990 grundlegende Reformen: die Freilas­sung von Nelson Mandela – die am 11. Februar 1990 erfolgte –, die Wieder­zulassung von ANC, PAC und SAPC (der Kommu­nistischen Partei Südafrikas) und weiterer Organisationen, die Frei­lassung von Gefangenen und die Aufhebung der noch bestehenden Apartheidgesetze.

Zwischen Nelson Mandela und staatlichen Vertretern hatten schon Ende der 1980er Jahre, noch während dessen Haft, Gespräche unter höchster Geheim­haltung stattgefunden. 1991 wurde von Nelson Mandela und F.W. de Klerk, dessen Nationale Partei noch an der Macht war, ein “Konvent für ein demokrati­sches Südafrika” (CODESA) einberufen und durch Arbeits­grup­pen in intensiven Verhandlungen die Grundlage für eine demo­kra­tische Regierungsform vorbereitet. 1993 wurde eine Einigung über die Übergangs­verfassung erzielt und der 27. April 1994 als Zeitpunkt für freie demokratische Wahlen und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit angesetzt. 1993 erhielten Nelson Mandela und F.W. de Klerk in Oslo gemeinsam den Friedensnobelpreis.

Diese Übergangszeit war charakterisiert durch politischen Streit und vielfache gewalttätige Auseinandersetzungen, die den Umwäl­­zungsprozess immer wieder gefährdeten. Es war ein zähes Ringen der verschiedenen Interessengruppen um ihre politi­sche und verfassungsmäßige Macht. Die staatlichen Sicher­heitskräfte und die Polizei gingen immer noch gewaltsam gegen Anti-Apartheid-Aktivisten vor, die Gruppe der rechts­extremen Weißen verübte Anschläge gegen ANC-Vertreter und auch extreme Gruppen des schwarzen Widerstands gingen mit Gewalt vor. Massive und andauernde Auseinandersetzungen fanden zwischen der Zulu-Organisation Inkatha und Anhängern des ANC statt. Inkathas Führung, Chief Buthelezi, strebte – so wie auch andere Homelandführer für ihre Gebiete – einen Autono­mie­status für KwaZulu an. In den Jahren 1991 bis 1994 spitzten sich die Kämpfe insbesondere in KwaZulu, in Natal und Johan­nes­­burg immer wieder zu und forderten viele Todesopfer. So kämpften z.B. in Durbans Wohngebieten Umlazi, Inanda und KwaMashu (s. Ausflug Inanda/INK) Anhänger von Inkatha und des ANC erbittert um die Kontrolle der Townships. Es gibt Hin­weise, dass Kräfte des alten Regimes die Auseinandersetzungen durch Unterstüt­zung von Inkatha befeuerten. Es waren im Kern Kämpfe um politische Macht und Einflus­sbereiche, die manchmal vordergründig als ethnische Spaltung zwischen Xhosa und Zulu erschienen. Erst in letzter Minute entschloss sich Inkatha, inzwischen konsti­tuiert als Inkatha Freedom Party (IFP), zu einer Beteiligung an den Wahlen von 1994.

Diese ersten demokratischen Wahlen Südafrikas fanden vom 26. bis 28. April 1994 statt und verliefen bei sehr großer Betei­ligung friedlich. Der ANC errang mit 62,6% der Stimmen eine deutliche Mehrheit, die National Party von de Klerk erhielt 20,4%, die Inkatha Freedom Party 10,5%. Nelson Mandela wurde erster Staatspräsident Südafrikas, eines zutiefst gespal­te­nen Landes, und nahm sich der Aufgabe an, die Herausbildung einer Nation voranzubringen. Ein wichtiger Schritt dahin war die Errichtung der Wahrheits- und Versöhnungs­kommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC), die in den Jahren 1996 bis 1998 öffentliche Anhörungen im ganzen Land zur Aufarbei­tung der Verbre­chen der Apartheid und der Menschenrechts­verletzun­gen in dieser Ära durchführte.

Das neue Südafrika hatte politische Freiheit und Gleichheit gewonnen, aber die alten ökono­mischen Strukturen bestanden fort. Die Regierung machte sich daran, mit verschiedenen Aufbau- und Entwicklungsprogrammen die Lebensbedingungen und die soziale Situation der großen Mehrheit der schwarzen Bevölkerung zu verbessern. Sie erzielte dabei deutliche Fort­schritte, z.B. im Wohnungsbau, aber viele soziale Erwartun­gen der Übergangszeit seitens der Mehrheit der schwarzen Bevöl­kerung blieben unerfüllt. Armut und Arbeitslosigkeit sind weiter­hin ein großes Problem, hohe Kriminalität und Korruption kommen dazu. Es hat sich zwar eine schwarze Mittelschicht herausgebildet, aber die Kluft zwischen Arm und Reich ist immens und nimmt weiter zu.

 

Literatur nach Ende der Apartheid

 

Die Literatur der Post-Apartheid-Zeit spiegelt den Umbruch, die zahlreichen Facetten und Perspektiven des neuen Südafrika auf vielfältige Weise wider. Es gibt eine neue gesellschaftliche Debatte über die Rolle, die Themen und die Sprache von Litera­tur, nachdem während der Apartheid viele literarische Werke vor allem vom Thema des Protestes und des Widerstands gegen die Verhältnisse geprägt waren.

Mandla Langa, der in KwaMashu, einem Township Durbans, aufwuchs und viele Jahre im politischen Exil verbrachte, greift in seinen Romanen und Erzählungen verschiedene Themen der Post-Apartheid-Ära auf (s. Ausflug Inanda/INK). Die Kurz­geschichten in The Naked Song and other Stories (1996), von denen einige in Durban spielen, erzählen von schwierigen Wegen zurück aus dem Exil in das Heimatland, von Traumata, von mensch­lichen Schicksalen und dem schwankenden Boden des neuen Südafrika (s. Text­aus­zug bei Orte: Durban Hafen­gebiet). In seinem Roman Memories of Stone (2000) ist ein Schauplatz ein Dorf in KwaZulu-Natal; Traditiona­listen und Gangster geben den Ton an, eine junge Frau und ein ex-ANC-Kämpfer versuchen sich zu behaupten.

Ronnie Govenders Theaterstücke und Prosa führen den Leser häufig nach Cato Manor und in die Geschichte und Kultur seiner indischen Bewohner, wie sein Roman Song of the Atman (2006), eine Familiensaga. Vom Wohngebiet Cato Manor waren die Bewohner während der Apartheid zwangsumgesiedelt wor­den, nach Ende der Apartheid kehrten indische und afrikanische Familien wieder zurück. Es entstanden informelle Siedlungen, eine Shantytown; die Stadt Durban hat inzwischen dort ein Stadtentwicklungsprojekt begonnen. Cato Manor hat ein reiches kulturelles und politisches Erbe und die vielen bekannten Schrift­steller/Schriftstellerinnen afrikanischer und indischer Herkunft gehören dazu.

Im Zentrum von Zoë Wicombs Roman David’s Story (2000; deutsche Ausgabe Davids Story, 2002) steht der ehemalige Anti-Apart­heid-Aktivist David Dirkse. Schauplatz ist die Gegend um Kokstad am westlichen Rand von KwaZulu-Natal. David kämpfte im Untergrund und ist auf der Suche nach seiner Iden­tität und Vergan­genheit. Er gehört der Bevölkerungs­gruppe der Griqua an, die während der Apartheid als “Farbige” eingestuft waren. Er versucht der komplexen Geschichte der Griqua auf die Spur zu kommen und der vielschichtige Roman spiegelt die Brüche und Lücken bei dieser Identitäts­suche wider.

In ihrem schmalen Band Heartbeats of Change (2000) erzählt Violet Joshua, Lehrerin in Mayville in Durban, in verschie­denen Episoden über das Leben und den Hintergrund der Kinder ihrer 1995 neu eingerichteten Schulklasse an der vormals “weißen” Schule. Die schwarzen Kinder kommen aus den armen informel­len Siedlungen, inoffiziellen Wohngebieten mit provisorischen Behausungen. Sie erzählen, nachdem sie Vertrauen gefasst haben, von ihrem Alltag und den Gewalterfahrungen der Um­bruch­zeit. Die weiße Lehrerin lernt eine Welt kennen, von der sie bislang keine Ahnung hatte, und verändert sich dadurch.

Die Erzählungen in der Sammlung Flat 9 von Mariam Akabor (2006) vermitteln lebendige und humorvolle Einblicke in das alltägliche Leben der Bewohner von AK Mansions, einem Wohn­block im indisch geprägten Grey Street Viertel in Durban (s. Ausflug Grey Street). Es geht dabei um die Beziehun­gen zwischen den Bewohnerinnen/Bewohnern, um die Haltung gegenüber einem Einwanderer aus Pakistan, um Klatsch, Essenskultur und Vettern­wirtschaft.

Das populäre Kochbuch A Treasury of South African Indian Delights (2000; erste Ausgabe 1961, danach viele weitere Ausgaben, auch kurz als Indian Delights), herausgegeben von Zuleikha Mayat, ist ein Produkt der lang­jähri­gen Arbeit einer Gruppe von Frauen indischer Herkunft in Durban seit den 1950er Jahren. In dieser Gruppe kamen Frauen verschiedenen Alters, mit unterschiedli­chem sozialem und religiösem Hinter­grund zu kulturellen Aktivitäten zusammen. Die Gruppe spielte eine wichtige Rolle für das Selbstverständnis und die Emanzi­pation indischer Frauen in Südafrika während und nach der Apartheid-Ära. Über die Geschichte und Bedeutung dieser Gruppe gibt es eine Studie von G. Vaheed & T.Waetjen: Gender, Modernity & Indian Delights. The Women’s Cultural Group of Durban, 1954 – 2010 (2010), auch mit vielen bio­gra­phischen Einblicken zu den Beteiligten.

Der Höhepunkt der HIV/AIDS Pandemie in Südafrika fällt in die Regierungszeit von Thabo Mbeki, der 1998 die Nachfolge von Nelson Mandela als Staats­präsident antrat. Die damalige Weigerung des Staatschefs und staatlicher Stellen, das Problem HIV/AIDS anzuerkennen und damit angemessen umzugehen, stieß auf heftige Kritik der Zivilgesell­schaft. Seit 2008 hat sich dies wesentlich geändert, es gibt jetzt umfassende Aufklärung und medizinische Behandlung, aber HIV/AIDS bleibt weiterhin eine große Herausforderung. Der Roman Gezeiten­wech­sel von Imraan Coovadia (2011. Englisches Original: High Low In-between. 2010), der im Milieu einer Familie der indisch-stäm­mi­gen Mittelschicht in Durban spielt, greift das Thema HIV/AIDS und viele andere Fragen auf. Ausgangspunkt ist der ungeklärte Tod des Arztes und Virologen Arif. Seine Ehefrau Nafisa macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, was sie mit den sozialen und politischen Enttäuschungen und den Widersprüchen im heutigen Südafrika konfrontiert (s. Ausflug und Texte Grey Street und der Textauszug bei Orte: Durban Strand).

Der Roman Young Blood von Sifiso Mzobe (2010; deutsche Ausgabe Young Blood, 2015) führt in ein anderes Milieu, in ein Township und die dazugehörige informelle Sied­lung, in der Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität bestimmend sind, aber auch die Party- und Drogenszene von Jugendlichen (s. Texte Inanda/INK). Der 17-jährige Schulab­brecher Sipho, der von seinem Vater das Reparieren von Autos gelernt hat, nimmt das “Job­angebot” eines gewalttätigen Gangsterrings an, der mit skrupellosem Hijacking von Luxus­wagen das große Geschäft macht. Als Lohn winkt schnelles Geld zur Erfüllung seiner Wün­sche, bis die Dinge aus dem Ruder laufen. Der Leser wird in das Township Umlazi, aber auch nach KwaMashu (s. Ausflug Inanda/INK) und in die City von Durban und in wohl­habende Suburbs geführt.

In der Sammlung Durban in a Word. Contrasts and Colours in eThekweni (2008), herausgegeben von Dianne Stewart, sind 32 Beiträge ganz unterschiedlicher Autorinnen und Autoren ver­sam­melt, die einen persönlichen Blick auf die Stadt Durban werfen und ihre Erfahrungen verarbeiten. Die fiktionalen und nicht-fiktionalen kreativen Texte reichen von A bis Z, von Rick Andrews “Light Music” bis zu William Zulus “Echoes of a Distant City”, und vermitteln ein lebendiges und vielfältiges Bild der Stadt. Eine dichte Geschichte, die den Leser an den Indischen Ozean, an den Strand und Hafen Durbans mitnimmt, erzählt auch der Lyriker Kobus Moolman in “Farewell at Vetch’s Pier” in dieser Sammlung (s. den Textauszug bei Orte: Durban Hafengebiet). Moolman veröffentlichte mehrere sehr anerkannte Gedicht­bände; er lehrt als Dozent an der University KwaZulu-Natal in Durban.

Die Situation kurz nach der Apartheid im damals verruchten Viertel um die Gillespie Street, die auf die Landzunge The Point führt, thematisiert Lewis Nkosi in seinem Essay “Blick in die Grau­zonen der Post-Apartheid-Gesellschaft. Die Freiheit der Desillusionierten” (2002) (s. den Text bei Orte: Durban City). Einen (sozial)kritischen und scharfen Blick auf das gegenwärtige Durban, seine Wider­sprüche und Probleme wirft Ashwin Desai in The Archi-texture of Durban. A Skapie’s Guide (2014). Es ist eine Sammlung kurzer Essays zu verschiedenen Stadtteilen und Orten in Durban und der Provinz, mit Beobachtungen und Überlegungen zu ihrer Gegenwart und Vergangen­heit, auch mit persönlichen Erinneru­ngen. So geht es zum Beispiel um das geplante Groß­projekt der Hafenerweite­rung in Süd-Durban und die damit verbundenen Umweltprobleme, um das Rotlicht­milieu der Point Road, die ironischerweise in Mahatma Gandhi Street umbenannt wurde, um den berühmten Botanischen Garten Durbans, um die Stadtteile Chats­worth und Grey Street, um Hotels und Rickshaw-Fahrer an der Promenade oder um den Strand zur Zeit der Apartheid und heute (s. den Textauszug bei Orte: Durban Strand).

 

Mehr lesen:

I: Frühe Geschichte und Kolonialzeit

II: Apartheid und Widerstand

 

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