Pietermaritzburg

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Alan Paton

 

Alan Paton German Book Alan Paton. 1986 (1954). Denn sie sollen getröstet werden. Frankfurt: Fischer Taschen­buch. Übersetzung ins Deutsche M. Hackel. (Engl. Original: 1948. Cry, the Beloved Country).

 

Der Roman erzählt die tragische Geschichte des Landpfarrers Stephen Kumalo, der seine Zulu-Gemeinde in Ixopo verlässt, um seinen Sohn Absalom zu suchen, der wie viele junge Leute in der großen Stadt Johannes­burg spurlos ver­schwunden ist. In den Slums der Stadt sieht Kumalo das soziale Elend seiner Lands­leute, die fern von ihren Familien leben müssen. Er findet seine Schwester als Prosti­tuier­te und seinen Sohn im Gefängnis, des Totschlags angeklagt…. Und so beginnt der Roman:

 

I

 

Eine wunderschöne Straße führte von Ixopo in die Berge hinauf. Die Berge sind grasbewachsen und dehnen sich weit hin; sie sind so schön, nie kann man genug davon singen. Die Straße steigt sieben Meilen in die Berge hinauf nach Carisbrooke, und wenn es nicht neblig ist, kannst du von dort hinunterschauen auf eines der schönsten Täler Afrikas. Um dich her ist Gras und Farn, und vielleicht hörst du den einsamen Ruf des Titihoyo, des Vogels im Veld. Unter dir liegt das Tal des Umzimkulu, wie er vom Drakensberg zum Meer hinunter reist; und jenseits des Flusses ein schöner Berg um den anderen, und jenseits davon die Bergzüge des Ingeli und des östlichen Griqualandes.

Das Gras ist üppig und dicht, du kannst den Boden nicht sehen. Es hält Regen und Nebel fest, und sie sickern in den Grund und nähren die Bäche in jeder kleinen Schlucht. Es ist gut gehalten, nicht zu viel Vieh weidet es ab, nicht zu viele Feuer brennen es ab und legen den Boden bloß. Zieh deine Schuhe aus, denn der Boden ist heilig, er ist, wie ihn Gott geschaffen hat. Bewahre ihn, hüte ihn, sorge für ihn, denn er bewahrt und hütet die Menschen und sorgt für sie. Zerstöre ihn, und der Mensch wird zerstört.

Wo du stehst, ist das Gras üppig und dicht, du kannst den Boden nicht sehen. Aber die üppigen Halden fallen ab ins Tal, und wie es hinuntergeht, werden sie ganz anders. Sie werden rot und kahl; sie können Regen und Nebel nicht festhalten, und die Bäche in den kleinen Schluchten vertrocknen. Zu viel Vieh weidet das Gras ab, zu viele Feldfeuer haben es verbrannt. Zieh deine Schuhe nicht aus, denn der Boden ist rau und scharf. Niemand hat ihn bewahrt und behütet und für ihn gesorgt. Er bewahrt und behütet die Menschen nicht mehr und sorgt nicht mehr für sie. Der Titihoyo ruft hier nicht mehr.

Trostlos stehen die großen, roten Hügel, und die Erde ist wie rohes Fleisch von ihnen abgerissen. Die Blitze flammen über ihnen, die Wolken brechen auf, die toten Bäche werden lebendig und sind voll des roten Blutes der Erde. Drunten in den Tälern scharren die Frauen im übriggebliebenen Boden, und der Mais wächst kaum mannshoch. Das sind die Täler der alten Männer, der alten Frauen, der Mütter mit jungen Kindern. Die Männer sind fort, die Jünglinge und die jungen Mädchen sind fortge­gangen. Der Boden kann sie nicht mehr halten.

 

II

 

Geschäftig lief das kleine Mädchen auf die Kirche zu, die aus Holz und Wellblech gebaut war, und es trug den Brief in der Hand. Neben der Kirche stand ein Haus, und sie klopfte schüchtern an die Tür. Der Pfarrer Stephen Kumalo sah vom Tisch auf, an dem er schrieb, und rief: Herein!

Das kleine Mädchen klinkte die Tür auf, sorgsam, als ob es Angst habe, die Tür eines so wichtigen Hauses unbedacht zu öffnen, und trat zaghaft ein.

– Ich bringe einen Brief, Umfundisi.

– Einen Brief, ja? Woher hast du ihn, mein Kind?

– Vom Laden, Umfundisi. Der weiße Mann sagte, ich sollte ihn Euch bringen.

– Das ist lieb von dir, Hamba kahle, mein Kind.

Aber sie ging noch nicht gleich. Sie rieb einen nackten Fuß am anderen, sie fuhr mit einem Finger an der Tischkante entlang.

– Vielleicht hast du Hunger, Kleine.

– Nicht sehr, Umfundisi.

– Vielleicht ein bisschen Hunger.

– Ja, ein bisschen Hunger, Umfundisi.

– Dann geh zur Mutter. Vielleicht hat sie etwas zu essen.

– Danke, Umfundisi.

Sie ging sorgfältig, als ob ihre Füße in einem so vornehmen Haus Schaden tun könnten, in einem Haus mit Tischen und Stühlen und einer Uhr und einer Topfpflanze und vielen Büchern, noch mehr als in der Schule.

Kumalo sah den Brief an. Er war schmutzig, besonders um die Marke. Er war wohl durch viele Hände gegangen. Er kam aus Johannesburg; nämlich dort, in Johannesburg, waren viele seiner Landsleute. Sein Bruder John, ein Zimmermann, war dorthin gegangen und hatte ein eigenes Geschäft in Sophiatown, Johannesburg. Seine Schwester Gertrude, fünfundzwanzig Jahre jünger als er und das Alterskind seiner Eltern, war mit ihrem kleinen Sohn hingegangen, um ihren Mann zu suchen, der aus den Minen nie zurückgekommen war. Sein einziges Kind, Absalom, war dorthin gegangen, um seine Tante Gertrude zu suchen, und er war nie zurückgekommen. Ja, viele andere Verwandte waren dort, doch keiner so nah wie diese. Es war schwer zu erraten, von wem der Brief kam, denn so lange hatte keiner von ihnen geschrieben, dass er sich ihrer Handschriften nicht mehr gut erinnern konnte.

Er drehte den Brief um, aber da war nichts, was auf den Absender schließen ließ. Er zögerte, ihn zu öffnen, denn wenn ein solcher Brief einmal geöffnet ist, kann man ihn nicht wieder zumachen. (S. 7-9)

 

Zu Autor und Werk:

Alan Paton PortraitAlan Paton (1930 – 1988) wurde in Pietermaritzburg geboren, ging dort zur Schule und studier­te an der University of Natal. Zunächst unterrichtete er an einer Schule in Ixopo – einer kleinen Stadt in den Midlands von KwaZulu-Natal, etwa 50 km südwestlich von Pietermaritz­burg – und im Maritzburg College. Von 1935 bis 1949 arbeitete er als Leiter einer Erziehungs­anstalt für schwarze Jugendliche in Diepkloof bei Johan­nes­burg und setzte sich für deren Rechte ein. Diese Erfahrung übte großen Einfluss auf sein Denken aus. Sein Roman Cry, the Beloved Country (1948), deutsche Ausgabe Denn sie sollen getröstet werden (1954), zeigt die unmenschliche Behand­lung der afrikanischen Bevölkerung in Südafrika und drückte Patons Hoffnung auf Veränderung aus. Vier Monate nach Veröffentli­chung des Romans verschärfte die Nationale Partei nach ihrem Wahlsieg 1948 den Rassismus und verankerte ihn gesetzlich im System der Apartheid.

Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt und welt­be­rühmt; er wurde zweimal verfilmt (1951 und 1995) und machte Paton zu einem der bekanntesten südafrikanischen Autoren. Er begann Vollzeit zu schreiben, Sachbücher und Belletristik; auch sein zweiter Roman Too Late the Phalarope (1953) wurde ins Deutsche übersetzt und erschien unter dem Titel Aber das Wort sagte ich nicht (1954). Paton war nicht nur Autor, sondern auch Politiker. Er engagierte sich politisch gegen die Apartheid, forderte Reformen und war 1953 Mitbegründer der Liberalen Partei von Südafrika, später ihr Vorsitzender und Präsident. Die Liberal Party wurde Ende der 1960er Jahre vom Apartheid­regime verboten.

(Siehe zu Alan Paton auch den Stadtrundgang Alan Paton’s Pietermaritzburg im englischen Hauptteil der Webseite.)


 

Bessie Head

 

Bessie Head SternenwendeBessie Head. 1997. Sternenwende, Göttingen: Lamuv. Über­setzung ins Deutsche Susanne Koehler. (Engl. Original: 1993. Cardinals. With Meditations and Short Stories. M. J. Daymond (ed.). Cape Town: David Philip. (Posthum veröffentlicht, verfasst 1960-1962).

 

Aufwachsen im Slum und die Welt des Lesens.

 

Zu Beginn des Romans kommt eine junge schöne Frau mit ihrem Wagen in eine Slumsiedlung und bringt ihr Baby zu Sarah, einer Frau, die für sie arbeitet. Sie gibt ihr Geld für dies, da sie das Kind aus einer Affäre nicht behalten möchte. Die Nachbarin warnt Sarah, dass sie Schwierig­keiten bekommen könne, wenn die Behörden davon erführen, und deutet damit eine verbotene Beziehung an. Das kleine Mädchen wächst im Milieu des Slums auf…

Bis zum Alter von zehn Jahren war das die einzige Welt, die das Kind kannte. Jeden Morgen krochen die Männer aus den Blech­hütten, um als Tagelöhner in der Stadt zu arbeiten. Die Frauen, die keine Arbeit hatten, saßen müßig herum und erzählten sich den neuesten Tratsch. Um Wasser für den Haushalt zu holen, mussten die Kinder mit Eimern oder Kanistern eine Meile weit zu Fuß gehen, danach verbrachten sie den Rest des Tages damit, auf der Müllkippe nach Essbarem, weggeworfenen Kleidungs­stücken oder irgendwelchen anderen Schätzen zu suchen. Wäh­rend der Woche war das Leben ruhig. Aber am Freitag­abend, wenn die Männer ihren Lohn erhalten hatten, wurde die Nacht zu einem Aufruhr von Gewalt und Trunkenheit.

Die schützende und liebevolle Hand der Frau Sarah bewahrte das Kind in vielem vor der Rohheit und Härte des Lebens. Seine eigene ruhige und ernste Zurückhaltung war ein weiterer Schutz. Das Mädchen gehörte zu den Kindern, die es vorzogen, alleine zu sein.

Eines Tages erschien in der Slumsiedlung ein lustiger alter Mann mit einem Zwinkern in den Augen und machte sich sofort daran, sich unter dem großen Baum, der am Rande der Siedlung stand, eine klapprige Unterkunft aus Blech, Karton und alten Säcken zu bauen. Er tat kund, dass er Tabakverkäufer sei, doch als man entdeckte, dass er lesen und schreiben konnte, nahm sein Ansehen einen ungeahnten Aufschwung. Er wurde oft darum gebeten, einen Brief zu schreiben, und die Tatsache, dass der alte Mann Vorlagenbriefe aus einem Buch mit dem Titel Die Kunst des Briefeschreibens kopierte, mutete niemandem seltsam oder gar lächerlich an. Das Buch war in der Lage, alle Prob­leme des Lebens zu handhaben, die einen Brief erforderlich machten. In einer Gemeinschaft, die weder lesen noch schreiben konnte, wurden seine Dienste hoch geschätzt. (S. 10-11).

 

Das kleine Mädchen ist neugierig, macht Bekanntschaft mit dem Mann und möchte auch schreiben lernen. Er zeigt es ihr und sie übt, indem sie aus dem Vorlagenbuch abschreibt.

 

Eines Tages, während sie bis zu den Knien im Schmutz der Müllkippe stand, fand sie ein bunt illustriertes Bilderbuch und rannte damit, so schnell sie konnte, zu dem alten Mann.

“Was ist das, Onkel?”, fragte sie und zitterte vor Aufregung.

Der alte Mann nahm es begierig in die zitternde Hand und las langsam vor: “Die Abenteuer von Fuzzy Wuzzy Bär. Es ist eine Geschichte mit Bildern, Kleines”, sagte er.

Er öffnete das Buch, zeigte auf ein Bild und las, was darunter stand: “Fuzzy Wuzzy Bär macht Ferien am Meer.”

Auf dem Bild war ein lustig angezogener Bär zu sehen, im Hintergrund das Meer. Plötzlich sprangen ihr die Worte “Meer” und “Ferien” ins Gesicht und verbanden sich mit dem Bild. Sie hüpfte und tanzte um den alten Mann herum. “Lies es noch einmal, Onkel”, sagte sie atemlos.

Gespannt folgte sie seinem Finger, als er die Worte noch einmal laut las. Als er zu dem Wort “Meer” kam, zeigte sie auf das Meer im Bild. Als er zu “Ferien” kam, zeigte sie auf die bunte und lässige Kleidung des Bären.

“Was für ein kluges Kind”, sagte der Mann; auch er lachte und war ganz aufgeregt.

Zusammen lasen sie so das ganze Buch, und sie identifizierte die Worte, die er las, mit den Darstellungen im Bild. Einige der Gegenstände waren ihr fremd, wie zum Beispiel Rollschuhe und der alte Mann bemühte sich vergeblich, ihr zu erklären, was ein Rollschuh war. Schließlich sagte er: “Macht nichts, Kleines. Wenn ich das nächste Mal in die Stadt gehe, will ich versuchen, Rollschuhe zu finden. Es ist besser, wenn du so etwas siehst und verstehst, wie man es gebraucht.”

Sie nahm ihm das Buch aus der Hand und ging hinunter zu dem Baum, um die darin enthaltenen Rätsel zu ergründen und alles in sich aufzusaugen. In weniger als einer Woche konnte sie die einfachen Texte unter den Bildern lesen und die Bedeutung der Worte verstehen. Auch die Abenteuer des Bären wurden Wirk­lichkeit, und sie verbrachte viele Stunden damit, an allem, was er erlebte, teilzunehmen. Wenn er ein Eis aß, war es, als tropfe ihr die schmelzende Sahne über die Finger. Wenn er im Meer schwamm, fühlte sie die Wellen aufsteigen und über sich zusam­menbrechen. (S. 14-15)

 

Zu Autorin und Werk:

Bessie Head and DogBessie Head (1937 – 1986) ist eine der bedeutendsten Schrift­stellerinnen Südafrikas. Sie kam in Pietermaritz­burg als Bessie Amelia Emery zur Welt. Als Kind einer weißen Mutter und eines unbekannten schwarzen Vaters wuchs sie aufgrund einer solchen damals verbotenen Beziehung nicht bei der weißen Mutter, sondern in einer “farbi­gen” Pflegefamilie auf. Als sie von ihrer Herkunft erfuhr, war dies ein Schock für das junge Mädchen, das zu der Zeit in Durban auf eine anglikanische Missionsschule ging und in dem zugehörigen Heim St. Monica wohnte. Ihre Eltern hat sie nie gekannt. Mit sechzehn Jahren machte sie eine Ausbildung zur Grundschullehrerin, unterrich­tete zunächst in St. Monica und 1956 in Clairwood in Durban. Nach 18 Monaten brach sie dies ab und zog nach Kapstadt, wo sie als freie Reporterin für die Golden City Post schrieb. Ihr erster, in den 1960er Jahren geschrie­be­ner und erst posthum ver­öffent­lich­ter Roman Cardinals (1993; deutsche Ausgabe Sternen­wende, 1997), der in Kapstadt spielt, schöpft aus dieser Zeit. Er lässt aber auch Erfahrungen ihrer Kind­heit aufscheinen.

1959 ging Bessie Head nach Johannesburg und arbeitete dort als Journalistin. Sie heiratete den Journalisten Harold Head und 1962 kam ihr Sohn Howard zur Welt. Bessie Head erlebte den staatlich verordneten Rassismus und die Unterdrückung der Apartheid als unerträglich für ihr Leben und Schreiben. 1964 wanderte sie mit ihrem Sohn nach Botswana aus, lebte und schrieb dort bis zu ihrem Tod. Sie veröffentlichte eine Vielzahl von Romanen und Erzäh­lungen sowie einen Band über Serowe, den Ort an dem sie in Botswana lebte und wurde als Autorin international bekannt. Auch Sammlungen mit Briefen von ihr sind erschienen und ein großer Teil ihres Werkes ist ins Deut­sche übersetzt, wie die beiden Erzählbände Die Schatz­sammlerin (1993) und Orangen und Zitronen. Geschich­ten von Zärtlichkeit und Macht (1999) und die Romane Die Farbe der Macht (1987), Sternenwende (1997), Maru (1998) und RegenWolkenZeit (2000).

 

 

James Mc Clure

 

McClure Steam Pig James McClure. 2016. Steam Pig. Zürich: Unionsverlag. (1975. 1994. Begräbnis inklusive. Rowohlt). Übersetzung ins Deutsche Sigrid Gent. (Engl. Original: 1971. The Steam Pig).

 

Im Roman Begräbnis inklusive, der in Trekkers­burg (alias Pietermaritz­burg) zur Zeit der Apart­heid spielt, kommt Lieutenant Kramer ins Grübeln, als er die irrtümlich nicht eingeäscherte junge Tote Theresa Le Roux in Augenschein nimmt und einen seltsamen Fall erkennt: eine Weiße, die auf eine Art und Weise ermordet wurde, wie es in afrikanischen Gangsterkreisen Südafrikas üblich war. Er und Sergeant Zondi durchsuchen die Wohnung von Miss Le Roux in 223A Barnato Street …

 

McClure Begrabnis

Seltsamer Mord an einer weißen Frau

 

“Du siehst also”, fügte Kramer hinzu, “dass es in dieser Woh­nung Dinge gibt, die einfach keinen Sinn ergeben. Raff dich auf und sieh’s dir selbst an.”

Bevor Zondi zur Polizei gegangen war, hatte er ein Jahr als Hausboy zugebracht. Dadurch hatte er einen Blick für die Details einer von Weißen bewohnten Behausung entwickelt, der genauso ungewöhnlich und scharf war wie der eines Anthropo­logen, der mit Dingen, die den Eingeborenen selbst nie auffielen, viel anfangen konnte. Schon mehr als einmal hatte Kramer die Feststellung gemacht, dass dieses Talent unschätzbar war.

Sie fingen in der Küche an; ein nichtssagender Raum, in dem man sich kaum rumdrehen konnte und der früher vermutlich mal eine Vorratskammer gewesen war.

Auf einem Nagel steckte eine Sammlung von Rechnungen.

“Sie hat telefonisch bestellt, Boss. Lebensmittel, Drogeriekram, Kleidung von John Orr. Aber hauptsächlich Nahrungsmittel.”

“Sie zahlte nicht mit Scheck, sondern bar”, klärte ihn Kramer auf. “Sie hatte ihr Geld auf der Post, knapp über zweihundert Rand.”

Zondi hatte den Deckel des Abfalleimers abgenommen. In der Aufregung hatte Rebecca verständlicherweise ihre häuslichen Pflichten vernachlässigt, so dass er noch voll war. Kramer sah die fragend zu ihm hochgezogene Augenbraue und grinste zurück.

“Mach dir bloß keine Hoffnungen”, sagte er. “Das ist Kaffernarbeit.”

Das Grinsen wurde erwidert.

“Da oben drauf ist übrigens die Eierschale. Erzähl mir aber ja nicht, dass jemand, der da drin etwas verstecken will, nichts kaputtmacht, wenn er den ganzen Kram wieder zurücktut.”

Zondi machte sich wieder daran, mit dem Stiel eines Staub­wedels in dem feuchten Dreck zu stochern.

“Na?”

“Auf dem Fensterbrett steht ein neuer Karton Abwaschpulver, Boss. Wenn Frauen einen Karton wegwerfen, drücken sie ihn nie zusammen, wie ein Mann das machen würde, um für das andere mehr Platz zu schaffen. Sie tun ihn einfach so mit der ganzen Luft drin rein.”

“Und du kannst keinen fühlen?”

“Nein.”

“Komm schon, Zondi, der da drüben ist doch gar nicht so neu.”

“Aber er muss hier drin sein, Boss.”

Zondi nahm das Paar Gummihandschuhe, das über der Spüle hing, und zog sie an. Dann breitete er eine Zeitung aus und leerte langsam den Eimer.

Miss Le Roux war zweifellos eine junge Dame mit geregelter Lebensweise gewesen. Die Gliederung des täglichen Einerleis in umgekehrter Reihenfolge – Abendessen, Tee, Mittagessen, Tee, Saubermachen, Frühstück, Tee – tauchte in schöner Regel­mäßig­­keit auf, obwohl sie immer weniger eindeutig zu erkennen war, je tiefer Zondi hineingriff.

“An dem Haufen ist keiner drangewesen, das kann ich dir mit Sicherheit sagen”, bemerkte Kramer irgendwie gereizt…

“Ganz recht, Boss.”

Zondi schaukelte auf seinen Absätzen zurück und hielt einen verknautschten, mit Teeblättern bedeckten Pappbehälter hoch.

“Plattgedrückt”, sagte Kramer.

“Zusammengefaltet”, sagte Zondi und suchte einen sauberen Bogen Zeitungspapier aus, auf dem er ihn ablegen konnte. Der Karton war glitschig, und es gelang ihm erst beim zweiten Versuch, ihn aufzuziehen. Heraus rollte eine Tonbandspule, von Flammen schwer beschädigt.

“Mich laust der Affe.”

“Montag vor einer Woche, denk ich mal”, sagte Zondi. “Nach dem Abendessen dieser Missus.”

Kramer schüttete einige Brotmarken aus der Markenschachtel und legte die Spule hinein. Dabei flatterten etliche kleine Teile des Bandes auf den Boden. Er rettete sie. Das ganze Ding war zerstückelt. Er versiegelte die Schachtel mit Klebeband aus der Tischschublade.

“Sergeant Prinsloo kann kommen und ein paar hübsche Fotos davon knipsen”, sagte Zondi mit Genugtuung, wobei er auf die Schweinerei, die er gemacht hatte, zeigte und die Handschuhe auszog. “Das ist jetzt Weißenarbeit.” […]

Zondi machte sich daran, die Lampen auszuschalten. Er hatte recht, es war Zeit aufzubrechen – jede Minute zählte doppelt, bis die Nachricht von der Ermittlung bekannt wurde. Kramer packte die Papiere in eine Notenmappe, holte das Band und ging auf die kleine Veranda hinaus. Er erhaschte gerade noch einen flüchtigen Blick von jemandem, der von Mrs. Bezuidenhouts Küchen­­fenster zurückwich.

Die Nacht war stürmisch.

Aus der Luft betrachtet war Trekkersburg eine grüngraue Gussform auf dem Boden eines nicht brennenden Feuerbeckens. Jetzt strömte, über den Rand stumpfer Berge gen Westen, ein heißer, schwerer Wind herab, der Laub wie Bodensatz auf­wirbelte und jedes Lebewesen mit seiner seltsamen Unruhe ansteckte. Der Wind kam nicht oft, doch wenn er kam, geschah etwas.

Was Kramer wunderbar in den Kram passte. Er schwelgte darin, wunderte sich, warum es ihm nicht schon früher auf­ge­fallen war. Mit jedem Tosen wurde er ungeduldiger, während Zondi an der Haustür herumfummelte, um sich genau zu ver­gewissern, dass das Schloss auch fest zu war. Daher marschierte er allein den kurzen Weg hinunter und durch das Seitentor hinaus. Er fand sich in einer kleinen Gasse wieder, die früher von der nächtlichen Fäkalienkarre benutzt wurde, denn es war ein sehr alter Stadtteil. Trotz der spärlichen Beleuchtung kam er so rasch voran, dass er den Wagen schon wieder laut dröhnend zum Leben erweckt hatte, ehe Zondi ihn einholte. Dann fuhr er davon, als hätten die Leopardenfellsitze gefaucht. (S. 45-48)

 

Zu Autor und Werk:

James McClure PortraitJames H. McClure (1939 – 2006) ist bekannt für seine Krimi­nal­romane, die mit dem beliebten Ermittlerduo Kramer und Zondi einem inter­natio­na­len Publikum die Realität der Apart­heid­ära auf subtile Weise nahebrachten. McClure wurde in Südafrika geboren, ging in Pietermaritzburg zur Schule, arbeitete dort zunächst als Englischlehrer, dann als Kriminalreporter und Journalist für diverse Zeitungen in Natal und siedelte 1965 nach Großbritannien über. Dort arbeitet er als Autor für verschiedene Zeitungen und als Herausgeber. Für seinen ersten Kriminalroman 1971, The Steam Pig, deutsche Aus­gabe Begräbnis inklusive (1994) erhielt er den Gold Dagger Preis der britischen Crime Writers’ Association für den besten Kriminal­roman des Jahres. 1974 begann er Vollzeit zu schrei­ben, und es folgten, auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Südafrika, weitere sieben Kriminalromane mit Afrikaander Ermitt­ler Lieutenant Tromp Kramer und Zulu Detective Sergeant ‘Mickey’ Zondi sowie andere Veröffentlichungen. Seine Krimis spielen in KwaZulu-Natal und dort häufig in Trekkers­burg, dessen Vorbild Pieter­maritzburg unschwer zu erkennen ist. 1986 kehrte McClure zum Journalismus zurück und wurde später Heraus­geber der Oxford Times. Seine Kramer-Zondi Krimireihe erschien auf Deutsch gleich in den 1970er Jahren (bei Scherz) und dann erneut in den 1990er Jahren bei Rowohlt. Der Unionsverlag hat 2016 begon­nen, alle acht Bände der McClure Thriller im deutsch­sprachigen Raum neu heraus­zu­geben. Mit Song Dog. Kramer und Zondi ermitteln (1) erschien 2016 der erste in der Folge. McClure schrieb The Song Dog erst 1991, in der inneren Chronologie der Romane ist es jedoch der erste Band. Des weiteren sind erschienen Steam Pig (2016), Caterpillar Cop (2017) und Goose­berry Fool (2017). Als E-Book sind alle acht Bände bereits erhältlich.

 

Für die weitere Lektüre:

 

Alan Paton

Paton, Alan. 1986 (1954). Denn sie sollen getröstet werden. Frankfurt: Fischer Taschenbuch. Übersetzung aus dem Englischen von M. Hackel. (Engl. Original: 1958 (1948). Cry, the Beloved Country. Harmondsworth: Penguin).

Paton, Alan. 1954. Aber das Wort sagte ich nicht. Hamburg: Wolfgang Krüger. Übersetzung Martha Hackel.

Bessie Head:

Head, Bessie. 1997. Sternenwende. Göttingen: Lamuv. Übersetzung ins Deutsche Susanne Koehler. (Engl. Original: 1993. Cardinals. With Meditations and Short Stories. M. J. Daymond (ed.) Cape Town: David Philip).

Head, Bessie. 2000. RegenWolkenZeit. Göttingen: Lamuv. Übersetzung Gisela Feurle/Detlev Gohrbandt. (Engl. Original: 1969. When Rainclouds Gather. London: Gollancz).

Head, Bessie. 1998. Maru. Göttingen: Lamuv. Übersetzung Gisela Feurle/Detlev Gohrbandt. (Engl. Original: 1971. Maru , London: Gollancz).

Head, Bessie. 1993. Die Schatz­sammlerin. Erzählungen. München: dtv. Übersetzung Uta Goridis/ Evelin Petzold/Ursel Reinecke/ Ingrid Westerhof. (Engl. Original: 1977. The Collector of Treasures and other Botswana Village Tales. London: Heinemann).

Stead-Eilersen, Gillian. 1995. Bessie Head. Thunder Behind Her Ears. Her Life and Writing. Claremont: David Philip.

Daymond, MJ (ed.). 2015. Everyday Matters. Selected Letters of Dora Taylor, Bessie Head and Lilian Ngoyi. Auckland Park: Jacana.

James H. McClure:

McClure, James. 2016. Song Dog. Kramer und Zondi ermitteln (1). Zürich: Unionsverlag. Übersetzung Erika Ifang. (1993. Die schwarze Hexe. Rowohlt) (Engl. Original: 1991. The Song Dog)

McClure, James. 2016. Steam Pig. Kramer und Zondi ermitteln (2). Zürich: Unionsverlag. Übersetzung Sigrid Gent (1975. Ein Sarg mit falscher Adresse. Scherz. 1994. Begräbnis Inklusive. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt) (Engl. Original: 1971. The Steam Pig. London: Gollancz).

McClure, James. 2017. Caterpillar Cop. Kramer und Zondi ermitteln (3). Zürich: Unionsverlag. (1994. Nachtspiele: Rowohlt) (Engl. Original: 1972. The Caterpillar Cop)

James McClure. 2017. Gooseberry Fool. Kramer und Zondi ermitteln (4). Zürich: Unionsverlag. (Engl. Original: 1974. The Gooseberry Fool).

 

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