Literarische Texte zum Ausflug Inanda/INK

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von

 

GhandiM.K. Gandhi. 2013. Eine Autobiographie. Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit. Gladenbach: Verlag Hinder & Deelmann. Über­set­zung ins Deutsche von Fritz Kraus.

 

Mohandas Karamchand Gandhi, ein junger Rechts­­anwalt aus Indien, der seine Ausbildung in London erhalten hatte, kam 1893 nach Südafrika, um einen Klienten vor Gericht in Pretoria zu vertreten. Schon bald nach seiner Ankunft per Schiff in Durban in Natal, hatte er bei einer Zugfahrt ein einschneidende Erlebnis: wegen seiner dunklen Hautfarbe wurde er als Mensch zweiter Klasse behandelt.

Dies sollte ihn dazu bewegen, in Südafrika zu bleiben – letzt­lich wurden es einundzwanzig Jahre –, um den Kampf gegen Diskri­minierung und für die Rechte der indischen Bevölkerung aufzu­­nehmen. (Mehr zum Autor siehe Ausflug Inanda/INK)

 

Konfrontiert mit Diskriminierung

 

Am siebten oder achten Tage nach meiner Ankunft verließ ich Durban. Ein Platz erster Klasse war für mich gebucht. Es war hier üblich, fünf Schilling extra zu zahlen, wenn jemand Bettzeug brauchte. Abdulla Sheth drang darauf, ich solle welches bestellen. Aber aus Eigensinn und Stolz und in der Absicht, die fünf Schilling zu sparen, lehnte ich ab. Abdulla Sheth warnte mich:

“Sehen Sie”, sagte er, “das Land hier ist anders als Indien. Gott sei Dank haben wir’s reichlich. Bitte schränken Sie sich nicht ein bei irgendetwas, das Sie brauchen können.”

Ich dankte ihm und bat ihn, sich keine Sorgen zu machen.

Der Zug erreichte Maritzburg, die Hauptstadt von Natal, gegen neun Uhr abends. Auf dieser Station pflegte Bettzeug vermietet zu werden. Ein Zugbeamter kam und fragte mich, ob ich welches wolle. “Nein”, sagte ich, “ich habe welches mit.” Er entfernte sich. Doch dann kam ein Passagier und musterte mich von oben bis unten. Er sah, dass ich ein “Farbiger” war. Das störte ihn. Er ging hinaus und kam mit ein oder zwei Beamten wieder. Alle verhielten sich ruhig, bis ein anderer Beamter auf mich zukam und sagte: “Kommen Sie mit! Sie müssen in den Gepäckwagen steigen.”

“Aber ich habe eine Fahrkarte erster Klasse”, sagte ich.

“Das ist einerlei”, entgegnete der andere. “Ich sage Ihnen, Sie müssen in den Gepäckwagen steigen.”

“Ich sage Ihnen, mir wurde in Durban erlaubt, in diesem Abteil zu reisen, und ich bestehe darauf, in ihm zu bleiben.”

“Nein, das werden Sie nicht”, sagte der Beamte. “Sie müssen dieses Abteil verlassen, sonst muss ich einen Polizisten rufen, um Sie hinauszuwerfen.”

“Ja, das können Sie tun. Freiwillig auszusteigen, weigere ich mich.”

Der Polizist kam. Er ergriff mich bei der Hand und warf mich hinaus. Auch mein Gepäck wurde hinausbefördert. Ich lehnte es ab, den Gepäckwagen zu besteigen, und der Zug fuhr ab. Ich ging in den Warteraum…[…] Ich begann darüber nachzu­denken, was ich tun müsse. Sollte ich für mein Recht kämpfen oder nach Indien zurückgehen, oder sollte ich nach Pretoria weiterfahren, ohne mich um die Beleidigungen zu kümmern, und nach Beendigung des Prozesses nach Indien zurückkehren? Es wäre Feigheit gewesen, nach Indien zurückzueilen ohne meine Verpflichtung zu erfüllen. Die Peinlichkeit, der man mich ausgesetzt hatte, war oberflächlich nur ein Symptom für das tiefsitzende Übel des Vorurteils gegen die “Farbigen”. Ich sollte womöglich versuchen, dies Übel auszurotten und Unannehm­lich­keiten im Prozess zu ertragen. Genugtuung für Unrecht sollte ich nur in dem Maße suchen, wie es nötig wäre zur Beseitigung des Farbigen-Vorurteils.

So beschloss ich, den nächsten Zug nach Pretoria zu nehmen. (S. 103-104)

 

 

Lauretta NgcoboLauretta Ngcobo. 1999 (1990). And They Didn’t Die. Pieter­maritzburg: University of Natal Press, 1999 (1990). (Übersetzung des Textauszugs Gisela Feurle).

 

Der Roman And They Didn’t Die von Lauretta Ngcobo spielt in den Jahren zwischen 1950 und 1980. Im Zentrum stehen die Frauen, die in großer Armut auf dem kargen Land des Home­lands mit ihren Familien überleben müssen. Sie und ihre Fami­lien sind getrennt von ihren Männern, die als Wander­arbeiter in Durban arbeiten. Jezile besucht ihren Mann in Durban und über­nachtet bei ihm in KwaMashu, einem Wohngebiet für Schwarze.

 

Im Männerwohnheim in KwaMashu während der Apartheid

 

Jezile und Siyalo drängten sich zickzack durch die Menschen­menge – durch Menschen mit ganz verschiedenen Gesichtern, da waren Schwarze, Weiße, Inder, schick gekleidete Menschen und Menschen in Lumpen, saubere und schmutzige Menschen, Menschen, die sich mit Lasten auf dem Kopf vorwärts schoben, andere, die völlig unbekümmert daher stolzierten; aber eines hatten sie alle gemeinsam – alle schienen in Eile zu sein, irgend­wohin zu gelangen. Sie konnte kaum mit Siyalo mithalten, der ihre schweren Taschen in beiden Händen trug und vorwärts drängte, als wollte er den letzten Zug oder Bus erwischen. Er sprach kaum, selbst dann, als sie einen Steh­platz in einem Bus gefunden hatten, unangenehm hineingezwängt, das Gepäck zwischen den Beinen.

Er schien abwesend, als sie aus dem Bus ausstiegen. Irgendwie veränderte er sich auf dem Weg von der Bushaltestelle in der Stadt bis zum Eingang des Wohnheims, wo sie offenbar unter­kom­men würden. Er sah besorgt, ja ärgerlich aus. Auf seiner Stirn stand eine Sorgenfalte, die vorher nicht da gewesen war. Er schien etwas vor sich hin zu murmeln.

“Hast du etwas gesagt?”

Er blickte flüchtig zu ihr und sagte mit Widerstreben: “Weißt du, Jezile, du hast mir nur kurz vorher Bescheid gegeben, dass du zu mir kommen würdest. Du weißt ja, ich wohne in einem Wohn­heim, einem Junggesellenwohnheim. Ich könnte dich da nicht hineinschmuggeln – es ist nur für Männer und wir werden streng bewacht.” Er hielt inne und sie drängte ihn, weiterzu­sprechen.

“Wie machen es andere…?”

“Es gibt ein paar Häuser, die dafür vorgesehen sind, am Rande des Townships.”

“Welches Township?”

“Kwa Mashu. Diese Häuser werden an Männer vermietet, deren Ehefrauen zu einem kurzen Besuch kommen, so wie du jetzt. Du kannst dir vorstellen, dass sie das ganze Jahr ausgebucht sind – fünfundzwanzigtausend Bewohner sind wir im Hostel. Viele kommen nie an die Reihe. Aber letztes Jahr hatte ich ein Zimmer reserviert, habe es aber nicht weiter verfolgt, da wir keine festen Pläne hatten. Als jedoch jetzt dein Brief kam, ging ich wieder zu ihnen. Und es war schieres Glück, dass ich es bekam. Bei jemand anderem war der Plan nicht aufgegangen und ich bekam seinen Platz. Nur, als ich heute am Morgen hin­ging, um den Schlüssel zu holen, war das Zimmer weg. Irgendwo war Bestechung im Spiel, aber ich werde dafür kämpfen. Ich werde zu dem weißen Mann selbst gehen, dem Leiter. Ich werde sie festnageln, diese korrupten Beamten.” Endlich sah er sie an, sanfter, aber immer noch beunruhigt. “Aber heute Abend kann ich nichts mehr machen.” Er hasste es, so etwas sagen zu müssen – sein Gefühl sagte ihm, dass er sie enttäuschte, nachdem sie Berge bewegt hatte, damit sie zusammen sein konnten. Er grübelte und empfand Scham. Dann fuhr er fort, “ich habe mit unserem Cousin Mavela geredet; er wohnt in diesem furchtbar alten Wohnheim, es ist schlechter als unsere neuen KwaMashu-Hostels … es ist ….in diesen Wohnheimen teilt man mit mehre­ren Männern das Zimmer… er hat uns sein Bett gegeben; man ist nicht privat, aber ich verspreche dir, es ist nur für heute Nacht. Weißt du, hier geht es nicht so streng zu, Leute können aus und ein gehen, ohne dass sie bemerkt werden. Man muss mit dem Wachmann am Eingang reden. Das ist eine Stadt, wo es kein Versteck gibt.”

Sie sah ihm direkt in die Augen, hörte angespannt zu, versuchte seine Welt zu verstehen. Nach einer langen Pause wiederholte sie langsam “Sein Bett … in einem Raum mit mehreren … Männern.” (S. 22-24)

 

Zur Autorin:

Lauretta Ngcobo (1931-2015), Autorin, Lehrerin und politische Aktivistin, wurde in Ixopo/ Natal geboren. Sie ging in Indanda Seminary zur Schule, studierte an der Universität Fort Hare und engagierte sich im Kampf gegen die Apartheid, insbesondere auch in der Anti-Pass-Kampagne der Frauen in den 1950er Jahren. 1963 floh sie mit ihrem Mann und ihren Kindern ins Exil nach Swaziland, dann Sambia und schließlich England, wo sie 25 Jahre lang als Lehrerin arbeitete. Sie begann zu schreiben: Cross of Gold (1981), Let it be Told (1987) und ihr Haupt­werk And They Didn’t Die (1990). 1994 kehrte sie nach Südafrika zurück. 2012 gab sie einen Band zu südafrikanischen Frauen im Exil heraus: Prodigal Daughters: Stories of South African Women in Exile. Lauretta Ngcobo erhielt verschie­dene Auszeichnun­gen, die ihre Verdien­ste im Bereich der Literatur und ihren Einsatz für die Stellung und Rechte von Frauen in Südafrika würdigten.

 

 

Mzobe - Young BloodSifiso Mzobe. 2015. Young Blood. Wuppertal: Peter Hammer Verlag. Übersetzung ins Deutsche von Stephanie von Harrach.

 

Der Roman, der in der Zeit nach der Apartheid spielt, führt in das Milieu eines Townships und dort in eine der informellen Sied­lungen, wo Armut, Arbeitslosig­keit und Krimi­nalität bestimmend sind, aber auch die Party- und Drogenszene der Jugendlichen. Die Haupt­figur, der junge 17-jährige Schulab­brecher Sipho, der von seinem Vater das Reparieren von Autos gelernt hat, nimmt das “Job­angebot” eines gewalt­tätigen Gangsterrings an, der mit skrupel­losem Hijacking von Luxus­wagen das große Geschäft macht. Da winkt ihm schnelles Geld zur Erfüllung seiner Wün­sche, bis die Dinge aus dem Ruder laufen. Der Leser wird in das Township Umlazi, aber auch nach KwaMashu und in die City von Durban und wohl­habende Wohnviertel geführt.

 

Geld statt Freiheit

 

In dem Moment wusste ich, dass meine Kindheit vorbei war und ich nun einen entscheidenden Schritt ins Mannesalter tat. Wenn es einen isolierbaren Moment gegeben hat, von dem ich sagen könnte, das war der Zeitpunkt, an dem ich mich aus der Kindheit verabschiedet hab, dann war es dieser Anruf von Vusi. Das war der Übergang. Vor den gestohlenen Autos kannte ich in meinem Leben nichts Besseres als Fußball. Mit dem Ball am Fuß fühlte ich mich komplett frei. Fußball ergab für mich einen Sinn. Leider existierte im Township kaum eine Möglichkeit, damit Geld zu verdienen. Autodiebstahl brachte da mehr ein. Ich er­laubte mir einen luxuriösen Moment des Trauerns, dann schickte ich meine Träume in die Wüste, spuckte auf den Asphalt, ging nach Hause und zog mich um. Vusi und der Anruf, den 740i zu holen – diese Sekunde war der Über­gang. Ich wählte Geld statt Freiheit.

Ich zog mir die Laufschuhe, Trainingshosen und ein T-Shirt an. Ma schlief. Im Wohnzimmer befanden sich Dad und Nu, jeder auf seinem eigenen Planeten. Nu klebte vor ihren Zeichen­trickfilmen am Fernseher, mein Vater hinter seiner Zeitung.

“Was war denn mit dem Opel los?” Dad schob die Zeitung beiseite.

“Er braucht neue Bremsklötze und eine Inspektion. Ich bringe ihn jetzt zurück zu seinem Besitzer”, sagte ich.

“Sehr gut. Da hast du dir ein bisschen Kleingeld verdient.”

Die Zeitung wanderte zurück vor sein Gesicht.

Vusi wartete an der Ecke vor der Kurve zu seinem Haus auf mich. Er trug Turnschuhe, Trainingshosen und ein T-Shirt und saß auf einem Stromkasten. Im Auto war er in sich gekehrt, fast nachdenklich. Er war ein alter Hase, und doch sah es aus, als hätte er Zweifel. Ich wartete gespannt, dass er etwas sagte.

“Dreihundertfünfzigtausend Rand als Anteil für einen Dreierjob – würdest du das machen?” fragte er.

“Um was geht’s?”

“Raub. Ich soll Schmiere stehen und den Fluchtwagen fahren.”

“Falls Waffen im Spiel sind, würde ich mich nicht darauf einlassen. Die bringen Unglück.”

“Ich sag dir, Sipho, wenn ich das Ding da durchziehe, kann ich vielleicht ein bisschen kürzertreten. Vielleicht steige ich sogar ne Stufe weiter rauf und werde so was wie Musa. Nicht mehr stehlen, sondern die fetten Schäfchen ins Trockene bringen.” (S.127-128)

 

Zum Autor:

Sifiso MzobeSifiso Mzobe (geb. 1978) wuchs im Township Umlazi in Dur­ban auf, besuch­te das St. Francis College und studierte Journalis­mus in Durban. Heute arbeitet er als freier Journalist. Für seinen ersten Roman Young Blood, der 2015 ins Deutsche übersetzt wurde, erhielt er verschiedene renommierte internationale Preise.

 

 

Für die weitere Lektüre: 

Duphelia-Meshtrie, Uma. 2007. Gandhi’s Prisoner: The Life of Gandhi’s Son Manilal. Cape Town: Kwela Books.

Gandhi, M.K. 2013 (1977). Eine Autobiographie oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit. Gladenbach: Verlag Hinder & Deelmann. Übersetzung (aus dem Englischen) ins Deutsche von Fritz Kraus. (Original in Gujarati, 1960).

Gandhi, Sita. 2003. Sita. Memoirs of Sita Gandhi. Durban: Durban Local History Museum.

Govender, Rubendra. 2008. Sugar Cane Boy. Durban: Bambata Publishing.

Hughes, Heather. 2011. First President. A life of John Dube, founding president of the ANC. Auckland Park: Jacana Media.

Kuzwayo, Ellen. 1988. Mein Leben – Frauen gegen Apartheid. Frankfurt: Fischer TB Verlag. Übersetzung ins Deutsche von Bruni Röhm. (Engl. Original: 1985. Call Me Woman. Johannes­burg: Picador Africa).

Langa, Mandla. 1996. The Naked Song and Other Stories. Claremont: David Philip.

Langa, Mandla. 2000. The Memory of Stones. Cape Town: David Philip.

Langa, Mandla. 2008. The Lost Colours of the Cameleon. Johannesburg: Picador Africa.

Mzobe, Sifiso. 2015. Young Blood. Wuppertal: Peter Hammer Verlag. Übersetzung ins Deutsche von Stephanie von Harrach. (Engl. Original: 2010. Young Blood. Cape Town: Kwela Books).

Ngcobo, Lauretta.1999 (1990). And They Didn’t Die. Afterword by M. J. Daymond. Pietermaritz­burg: University of Natal Press.

Ngcobo, Lauretta (ed.). 2012. Prodigal Daughters: Stories of South African Women in Exile. Durban: University of KwaZulu-Natal Press.

Rambogin, Mewa. 1986. Waiting to Live. Cape Town: David Philip.

Sithebe, Angelina. 2005. Holy Hills. Johannesburg: Umuzi.

Izimbongi Zesimanje. 2006. Creative Anthology. Durban: eThekwini Municipality.

 

Ausflug Inanda/INK

 

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