Literarische Texte zum Ausflug Nordküste

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von

 

Bird

Pinkpink-Cistensänger/ Cloud Cisticola in KwaZulu/Natal

Dianne Stewart. 2007. The Guinea-Fowl’s Spots and other African Bird Tales. Cape Town: Struik Publishers. (Übersetzung des Textauszugs Gisela Feurle).

 

Viele der Fabeln in den von Dianne Stewart heraus­ge­gebenen Sammlungen stammen, wie auch die folgende, aus Südafrika. Sie gehören zum kulturellen Schatz der mündlichen Überliefe­rung. Dass Vögel in diesen Erzählungen eine große Rolle spielen, ver­wundert nicht angesichts der vielfältigen Vogelwelt, insbesondere auch an der Nordküste.

 

König der Vögel

Vor langer, langer Zeit versammelten sich an einem Morgen im Herbst alle Vögel des Vogel-Königreichs, um einen König zu wählen. Die Sonne schien schwach am blassblauen Himmel und eine leichte Brise schlich sich durch die Bäume, auf denen die Vogelversammlung stattfand.

“Ich denke, Strauß sollte der König sein”, sagte Schwalbe. “Er ist der größte Vogel von uns allen.”

Es war eine Weile still, bis Storch rief: “Nein, Strauß ist vielleicht der Größte, aber er kann nicht fliegen.”

Die Vögel zwitscherten.

“Adler sollte König sein!”, sagte Spatz und hüpfte auf dem Boden nach vorne. “Er ist der Stärkste von uns allen. Schaut doch, wie er seine Beute mit seinen starken Füßen und Klauen fängt.”

“Nein, nicht Adler”, murmelte Kormoran. “Er ist zu hässlich.”

Die Vögel waren sich nicht einig und äußerten alle ihre bestimmte Meinung. Einige stimmten Kormoran zu, andere waren völlig anderer Ansicht.

“Ich finde, Pfau sollte König sein”, sagte Kormoran. “Er ist es von Natur aus, mit seinem majestätischen Federkleid. Seht doch seine wunderbaren blauen und grünen Federn, wie Juwelen.”

Erfreut, dass er als König der Vögel nominiert wurde, stolzierte Pfau vor der Vogel­versamm­lung hin und her und zeigte dabei seine grandiosen Federn.

“Oh, aber er hat so hässliche Füße und eine kreischende Stimme”, sagte Pelikan laut. “Ich finde, dass Ohrengeier König sein sollte, weil er der größte aller afrikanischen Geier ist.”

“Nein”, zwitscherte Honigsauger. “Geier ist zu schmutzig und er stinkt.”

Einige Vögel kicherten. Dann verstummten sie, bevor die Diskussion wieder losbrach.

“Ich möchte gerne Eule als Königin vorschlagen”, sagte Pirol. ” Sie sieht sehr gut.”

“Nein, Unsinn!” sagte Tiputip. “Am Tag ist sie nie da. Wir wollen doch keinen nachtaktiven König.”

Eine hitzige Debatte folgte und jeder der anwesenden Vögel nannte jemand anderen, bis der Wiedehopf rief: “Ich habe einen Vorschlag. Der Vogel, der am höchsten fliegen kann, soll König sein!”

“Das ist eine gute Idee”, stimmten die Vögel zu und sie began­nen ihre Flügel spielen zu lassen, als sie sich am Boden aufreihten. (S.105-106)

 

 

Thomas MofoloThomas Mofolo. 1988. Chaka Zulu. Zürich: Manesse Verlag. Übersetzung aus dem Sesotho und Nachwort von Peter Sulzer (Original in Sesotho: 1961 (1926). Chaka. Morija. Deutsche Neuauflage 2000 Unionsverlag).

 

Shaka (1787 – 1828), legendärer Herrscher der Zulu, ist nicht nur eine bedeutsame historische Gestalt, sondern auch vielfältig Stoff für Literatur. Thomas Mofolo ver­knüpft in seinem Roman Dichtung und Wahrheit und dabei geht es ihm um die Thematik von Machterwerb durch Zauber und einer Entwicklung vom Guten zum Bösen. So ver­mittelt er den drama­tischen Lebens­­weg seiner Figur Chaka, von dessen Geburt, Auf­stieg und Herr­schaft bis zur Ermordung. Mofolo nimmt auch Preis­gedichte auf – eine traditionelle, münd­lich überlieferte Dichtung im südlichen Afrika. Im folg­en­den Auszug (aus Kap. 17) befindet sich Chaka auf der Höhe seiner Macht und seines An­sehens und führt umfassen­de Reformen an seinem Herr­schafts­sitz und bei seinen Regimentern ein.

 

Der neue Gruß für den Herrscher und Neuerungen bei den Streitkräften

 

Nachdem Chaka den Namen seines Volkes geändert, nachdem er sich selber den schönen Namen Zulu – Himmel – gegeben hatte, wollte er auch eine schöne, zum Namen des Stammes passende Grußformel finden, einen Gruß, der ein Wohlklang wäre in den Ohren des Volkes.

Eines Tages, im Anschluss an die Kriegsspiele der Regimenter, rief er sie alle zusammen, ließ auch die Siedler seines Häupt­lings­­dorfes herbeirufen und sagte zu ihnen: “Meine Kinder, des Nachts, als ich schlief, sandte Nkulunkulu seine hohen Botschaf­ter zu mir. Sie bestellten mir, ich solle sein Volk der Mazulu – der Himmlischen – einen schönen, angenehmen Gruß lehren, einen Gruß der Ehrung, wie er einem Häuptling angemessen ist, dem Häuptling nämlich, den Nkulunkulu zum Häuptling aller Häuptlinge der ganzen Erde und aller Völker unter der Sonne und unter dem Mond eingesetzt hat, auf dass sie ihm Tribut entrichten und sich vor ihm auf die Knie werfen. […]

Der Gruß, den ich euch beibringen soll, lautet: ‘Bayede’. Mit diesem Gruß sollt ihr nur mich allein grüßen, sonst niemanden. Nicht einmal scherzhaft sollt ihr zu jemandem ‘Bayede’ sagen, das wäre euer Tod. Ihr sollt dieses Wort nur aussprechen, um mich zu grüßen. Nkulunkulu läßt euch durch mich sagen: Wenn ihr diesen Gruß nicht seinem Befehl gemäß achtet, so werden euch die Löwen zerreißen, euer Vieh wird immerzu verwerfen, eure Frauen werden nicht empfangen, eure Felder werden nicht tragen, der Regen wird ausbleiben, und die Feinde werden euch überwältigen. So rate ich euch denn, meine Kinder, achtet wohl auf diesen Befehl Nkulunkulus!”

“Bayede” bedeutet “der Mittler zwischen Gott und Menschen”, mit anderen Worten: “der kleine Gott, durch den der große Gott die Häuptlinge der Erde und ihre Völker regiert”.

Nach all dem kümmerte sich Chaka um Kleidung und Schmuck seiner Krieger, denn es lag ihm viel an deren Ordentlichkeit, dass sie einheitlich gekleidet waren; aber ein jedes Regiment sollte an Besonderheiten seiner Kleidung erkennbar sein. Es wurden damals noch Sandalen getragen. Chaka schaffte sie ab, weil sie, sagte er, seine Krieger am Laufen hinderten. Außerdem lehrte Chaka sein Volk ehrfürchtig zu sein; er lehrte es, wie es mit ihm zu sprechen habe. Den Männern brachte er den Ehren­gruß bei. Auch seine engsten Mitarbeiter und Ratgeber belehrte er, wie sie ihn beraten und zu ihm sprechen sollten, obzwar er keinen Rat befolgte. Die Krieger begrüßten ihn mit den Worten:

“Bayede, Vater, Herrscher aller Herrscher!

Löwe, Elefant, der keinem Antwort schuldet!

Du wurdest mächtig, wir blieben zurück,

Bayede, Vater, Herrscher des Himmels!

Du Schwarzer, der du uns erscheinst, uns

erbarmungsvoll willst leiten,

Du Elefantengleicher,

Du, du Männerverzehrer,

Der du Pranken hast gleich denen eines

Löwen!

Du, der du dem Himmel gleichst, der über uns

steht,

Du, Zulu, habe Erbarmen mit uns!

Bayede, Herrscher! Bayede, Vater! Bayede,

Zulu!”

(S. 207-210)

 

Zum Autor:

Thomas Mofolo (1876 – 1948), geboren in Lesotho, schrieb mit Chaka den ersten historischen Roman afrikanischer Literaturen. Sein Stoff ist Shaka, der be­rühm­­te Herr­scher der Zulu, der nicht nur für KwaZulu-Natal, sondern für ganz Südafrika eine wich­tige historische Gestalt darstellt. Mofolo arbeitete als Lehrer und Korrektor in einem Missions­­­verlag, als er zu schreiben begann. Seine Texte wurden als Fort­setzungsromane im Missions­blatt veröffentlicht. Sein vierter Roman, Chaka, erschien 1926 in erster Auflage; das Manu­skript hatte er den Missionaren bereits 1906 vorgelegt. Der Roman, geschrieben in Sesotho, wurde auch bald übersetzt – allerdings in gekürzter und geglätteter Form – 1931 ins Englische und von dieser Fassung 1953 ins Deutsche. 1988 schließlich erschien der Roman Chaka Zulu nach seiner Urfassung, neu übersetzt von Peter Sulzer aus dem Sesotho ins Deutsche.

 

 

Aziz Hassim. 2009. The Revenge of Kali. Johannes­burg: STE Publishers. (Übersetzung des Textauszugs Gisela Feurle)

 

Der erste Teil des Romans, “Die Zuckerrohrfelder”, spielt in einem Rückblick in den 1860er Jahren auf einer Zuckerrohrplantage an der Nordküste KwaZulu-Natals und gibt einen Einblick in das harte und verzweifelte Leben der Vertrags­arbeiterInnen aus Indien. (Siehe zu Hassim und seinen Romanen auch Ausflug Grey Street).

Nach einem langen Tag schwerer Arbeit, bei der sie von den sirdar, den Aufsehern, brutal mit Peitschen auf dem Feld angetrieben wurden, waschen sich die drei Arbeiter Ellapen, Mohideen und Runga am Fluss und unterhalten sich:

 

Hölle auf Erden und Fluchtgedanken

 

“Nennt man das Leben, Moin? Ich würde lieber beim Versuch zu fliehen sterben, als so weiter zu machen.”

“Diese Farmer… Ich verstehe sie nicht. Je schlechter sie uns behandeln, um so mehr wollen wir fliehen. Wie kann ihnen das helfen? Sie treiben uns an wie Tiere und erwarten doch, dass wir sie mögen.”

“Sie scheren sich doch nicht darum, ob wir sie mögen oder nicht. Wenn wir nicht produzieren, dann schlagen sie uns. Unsere Frauen gefallen ihnen und sie nehmen sie.”

“Und es gibt kein Gesetz, das uns schützt…”

Danach schwiegen sie, jeder in seine Welt versunken, in dem Traum, dass der Tag kommen würde, an dem sie in ihre Heimat zurückkehren könnten. Sie legten sich auf den Rücken, blickten hinauf zu den Sternen, als plötzlich dieser Augenblick des Friedens zerstört wurde. Jenseits der nächt­lichen Laute und des Heulens der Hunde hörten sie etwas, das wie ein schwacher Schrei klang, dann folgte ein leises Stöhnen. Es schien aus der Richtung des großen Farmhauses zu kommen. Als es sich nicht wiederholte, schoben sie es einfach auf ihre Einbildungskraft, die mit ihnen ihr Spiel trieb, und zogen sich wieder zurück in ihre eigenen Welten.

“Dieser Ort”, sagte Mohideen schließlich, “ist die Hölle auf Erden. Bestimmt ist sogar der Teufel neidisch.”

“Der Teufel lief an dem Tag davon, als wir hierher kamen”, entgegnete Runga. “Es beschämte ihn zu sehen, wie dieser Ort seinen eigenen Tummelplatz übertraf.”

“Ella, wir müssen hier raus”, stöhnte Mohideen, etwas zu laut. Als er hinzufügte, “ich werde verrückt, wenn wir nicht bald von hier entkommen”, drehten sich einige Köpfe von den Hütten in der Nähe zu ihnen herüber. In dem Augenblick richtete sich Ellapen auf und hob warnend die Hand. Aus dem Augenwinkel hatte er in einem nahen Dickicht eine Bewegung im Schatten der Dunkelheit wahrgenommen. “Pst!”, warnte er. “Da ist jemand da draußen.”

Mohideen wurde es kalt, seine Augen starrten in das undurchsichtige Dunkel. Nur die sirdars lauerten normalerweise da draußen. Er betete still, dass wenn einer von ihnen dort herum­schnüffelte, seine Bemerkung über Flucht die scharfen Ohren des Aufsehers nicht erreicht hatten.

Dann sahen sie es, eine leichte Bewegung, viel näher als sie gedacht hatten. Jemand war wirklich da draußen und schlich im Busch umher. Ellapen stand auf, trat ein paar Schritte vor und rief “Wer bist du? Komm und zeig dich wie ein Mann!”

Eine Sekunde, dann teilte sich der Busch, eine Gestalt erschien aus seinem düsteren Inneren und bewegte sich in einem seltsamen seitlichen Gang, mit abgespreizten Beinen.

“Es ist Pugla”, lachte Mohideen, mit deutlicher Erleichterung in der Stimme.

Pugla, der verrückte Krüppel – sie konnten ihn jetzt deutlich sehen, als er auf sie zu humpelte. Er war nicht wirklich verrückt, nur geistig etwas lahm und schwachköpfig. Er war ein harmloser und fröhlicher Geselle, der frei herum wanderte, immer ein schiefes Lächeln hatte. Alle liebten und beschützten ihn, so gut sie konnten, vor Unheil (alle außer den sirdars, die ihm immer bösartig auf den Rücken oder Kopf schlugen, wenn sie an ihm vorbei kamen). […]

“Herr sagt, sie fangen Teeloo”, berichtete Pugla nüchtern und kratzte sich am Kopf.

“Sie haben Teeloo gefangen!”, rief Runga.

“Höre es mit eigenen Augen,” lächelte Pugla unschuldig. “Herr sagt, sie schlagen Fuß ab.”

“Und er wird nie wieder laufen können”, sagte Mohideen traurig.

“Auf dem Feld sind die Knie unsere Füße.Was scheren die sich darum, wie wir sonst herum laufen?”

Dann schwiegen sie und jeder dachte über sein Schicksal nach, wenn ihre Flucht scheitern sollte. (S. 23-25)

(Zum Autor siehe Ausflug Grey Street)

 

 

LuthuliAlbert Luthuli. 1963. Mein Land mein Leben. Autobiographie eines großen Afrikaners. München: Chr. Kaiser Verlag. Über­setzung aus dem Englischen von Gabriele C. Pallat.

 

Luthuli, seit 1936 Chief im Umvoti-Missions­reservat (jetzt Grout­ville), über seine

 

Arbeit mit afrikanischen Zuckerbauern

 

Meine Versuche, afrikanische Zuckerbauern zu organisieren, fanden nicht immer Zustimmung der Weißen. Später jedoch arbeitete das Department für Eingeborenen-Angelegenheiten hie und da mit uns zusammen, ebenso andere Behörden, die mit der Zuckerindustrie zu tun hatten. Meine Tätigkeit in dieser Sache führte mich durch das ganze Zucker-Gebiet. Meistens waren die Fabrikanten zur Zusammenarbeit bereit. […] Während eines solchen Besuchs in Zululand begegnete ich zufällig im Haus eines ausgezeichneten afrikanischen Farmers dem weißen Land­wirtschaftsbeamten des Gebiets. Wir wurden zu einem vorzügli­chen Mittagessen gebeten. Ich bemerkte, dass den Beamten offenbar irgendetwas irritierte, aber ich wusste nicht die Ursache, bis (in einem Augenblick, als unser Gastgeber nicht anwesend war) er sich über den Tisch beugte und mir zuflüsterte:

“Übrigens, wer hat das Essen gekocht?”

“Unsere Gastgeberin”, antwortete ich.

“Unsere Gastgeberin? Aber…” er verschluckte den Rest des Satzes. Jetzt war das Erstaunen über sein seltsames Benehmen an mir. Er war ein Landwirtschaftsbeamter, ein Angestellter des Departments für Eingeborenen-Angelegenheiten, und verstand nichts von afrikanischen Speisen – obwohl das sein Beruf war! Trotzdem schien er keinen besonderen Widerwillen gegen das Essen zu empfinden, und noch dazu in unserer Gesellschaft. (S.85)

 

Ziviler Ungehorsam: Aktion gegen Apartheidgesetze am Red Square

 

Albert LuthuliAlbert Luthuli, zu der Zeit Chief in Groutville und Präsident des ANC in Natal, war führend beteiligt bei der Organisation der Kampagne des zivilen Ungehor­sams im Jahr 1952 gegen die rassistischen Apartheid­gesetze, die an vielen Orten Südafrikas, so auch in KwaZulu-Natal und Durban, stattfand. Die Kampagne wurde – ein wichtiger Schritt in der Einheit – gemeinsam vom Afrikanischen und Indischen Nationalkongress getragen. Luthuli schreibt in seiner Autobio­grafie über die Kampagne und eine Aktion auf dem Red Square (Nicol Street) im Grey Street Viertel. (Siehe zum Red Square den Ausflug Grey Street).

 

Verschiedene Gesetze unterdrücken verschiedene nicht-weiße Gruppen; unter Demütigung und Diskriminierung in der Öffent­lichkeit leiden wir jedoch alle. Aus diesem Grunde richtete sich die Trotz-Kampagne hauptsächlich gegen die nationale Devise des weißen Südafrikas: Europeans only – Nur für Europäer –, die lang und breit über das ganze Land geschrieben steht. Eisen­bahn­stationen, Wartesäle, Postämter, öffentliche Bänke, Zug­ab­teile – alles trägt diese Inschrift. Die Frei­willi­gen sollten die “gesonderten und ungleichen” Einrichtungen, die man für uns reser­vierte, ignorieren und provokanten Gebrauch von den entsprechenden weißen Einrichtungen machen. Außerdem war vereinbart, das Ausgehverbot und die Passgesetze zu missach­ten. […]

In Durban entwickelten wir die Taktik, dass wir aus Afrikanern und Indern bestehende Frei­willigentrupps aussandten, nachdem wir sie instruiert hatten, was sie tun und wie sie sich dabei verhalten sollten. Wir unterrichteten die Polizei ausnahmslos im Voraus, ehe ein Trupp ausge­sandt wurde. Die örtliche Verkehrs­polizei war sicherlich bis zur Erschöpfung in Anspruch genom­men – ja, so weit, dass sie sich auf unsere Hilfe verließ. […] Das disziplinierte Auftreten in der Öffentlichkeit war immer sehr beeindruckend. Die Freiwilligen machten uns keine Sorgen; unser größtes Problem waren vielmehr die Zuschauermassen.

Die Stadtbehörde von Durban entwarf und ratifizierte eilends ein Statut, das ihr die zusätzliche Voll­macht gab, Versammlungen und Demonstrationen unter Kontrolle zu halten. Sobald wir davon hörten, gingen wir dagegen vor. Wir schrieben an die Stadtbehörde und kündigten unsere näch­ste Versammlung auf dem “Red Square” an. Prompt und stur verhaftete die Sicher­heits­poli­zei Dr. Naicker, mich und andere – aber ihre Haupt­schwie­rig­keit bestand darin, die Menschen­menge zu zerstreuen. Wir, die Verhafteten, nahmen ihr diese Arbeit ab und gingen dann mit zum Haupt­quar­tier, das wir zu unserer Überraschung voll von schwer bewaffneten Polizisten fanden. (Wir wurden angeklagt. Wir erschienen vor Gericht. Der Fall wurde vertagt. Soviel ich weiß, ist er es noch.) (S.147-149).

 

Der Apartheid-Staat setzt Chief Luthuli ab

 

Albert Luthuli wird auf Grund seiner Rolle in der Kampagne des zivilen Ungehorsams des ANC gegen die Apartheidgesetze zum Sekretär für “Eingeborenen-Angelegenheiten” in Pretoria, Dr. W.W.M. Eiselen zitiert. Anwesend waren auch dessen Stellvertreter und der oberste “Einge­borenen-Commissioner” von Natal. Dr. Eiselen kommt zur Sache:

 

“Sie sind Häuptling”, sagte er, “und doch fordern Sie die Leute dazu auf, die Gesetze des Landes zu übertreten. Sie sind Beamter, und somit ist es ihre Aufgabe, Gesetz und Ordnung aufrechtzuer­halten. Dennoch ermutigen Sie Ihre Leute dazu, das Gesetz zu missachten. Was haben Sie dazu zu sagen?”

Ich weiß noch, dass ich mit der Antwort zögerte, um meine Gedanken zu ordnen. “Ich gebe ohne weiteres zu, dass ich mich nach Kräften für die Politik des A.N.K. [African National Congress] einsetze. Der Kurs, den wir eingeschlagen haben, ist der einzig mögliche Weg für uns, Protest zu erheben gegen die Gesetze, die jeder moralischen Grundlage entbehren. Ich habe den Leuten nicht gesagt, sie sollten Verbrecher werden oder kriminelle Handlungen begehen. Unser Motiv ist politischer Art. Nur so können wir erreichen, dass man unsere Lage zur Kennt­nis nimmt und unsere Weigerung, uns mittels krimineller Gesetze regieren zu lassen. Unsere Hoffnung ist, dass die Weißen unsere Beschwerden beachten, uns ernst nehmen und merken, dass wir es ernst damit meinen. Die Trotz-Kampagne ist eine politische Demonstration gegen diskriminierende Gesetze.”

“Nein!”, rief der Sekretär, “Sie fordern die Leute dazu auf, das Gesetz zu brechen. Sie fordern die Leute dazu auf, das Gesetz zu brechen!”

“Nein”, erwiderte ich, “nicht das Gesetz zu brechen, sondern in dieser Form zu bezeugen, dass wir eine gewisse Art von Gesetz ablehnen.”

“Und wie vereinbaren Sie ihr Vorgehen (…) mit Ihren Pflichten als Häuptling?”

“Was das angeht, habe ich darin nie einen Widerspruch gese­hen. Es war stets mein Prinzip, dass ich meine Verpflichtungen sorgsam auseinanderhielt. Niemals habe ich Kongress­angelegen­heiten in Stammesversammlungen zur Sprache gebracht […]

“Wir haben Sie nicht hierhergerufen”, sagte Dr. Eiselen, “um Ihnen Ihre Zugehörigkeit zum A.N.K. auszureden, sondern weil Sie die Leute anstiften, das Gesetz zu brechen. Sie können nicht zugleich Jekyll und Hyde sein.”

Diese Bemerkung war mir höchst aufschlussreich. Demnach müssten offenbar Häuptlinge, denen eigentlich die Ausübung und Aufrechterhaltung des Gesetzes aufgetragen ist, erst eine Persönlichkeitsspaltung durchmachen, ehe sie gegen unmorali­sche Gesetze auch nur Einspruch erheben können – Gesetze, deren hauptsächliche Absicht es ist, die weiße Oberherrschaft zu erhalten. Was für ein widerwärtiges Denken! Letzen Endes war ich nicht trotz meines Häuptlingsamtes im Kongress, sondern zum Teil eher wegen der Dinge, für die mir meine Tätigkeit als Häuptling die Augen geöffnet hatte.

Dr Eiselen beendete die Unterredung: “Ich muss Ihnen erklären, dass das Department Sie nicht mehr brauchen kann, wenn Sie weiter diesen Weg verfolgen. Gehen Sie nun, denken Sie darüber nach und lassen Sie uns ihre Antwort wissen.” (S. 153-155)

 

Luthuli änderte seine Position nicht und wurde nach zwei Wochen von der Regierung in Pretoria als Chief des Umvoti-Missionsreservats abgesetzt. Für die Bevölkerung blieb er weiterhin Chief Luthuli. Einen Monat später, im Dezember 1952, wurde Luthuli zum Präsidenten des ANC gewählt.

(Zum Autor siehe Ausflug Nordküste)

 

 

KendalRosamund Kendal. 2012. The Murder of Norman Ware. Auckland Park: Jacana Media. (Übersetzung des Textauszugs Gisela Feurle)

 

Der Kriminalroman spielt in der (fiktiven) exklusiven Golf- und Öko-Wohnanlage San La Mer an der Nordküste von KwaZulu-Natal, nicht weit von Durban. Bei den Ermittlungen in dem Mordfall kommen nicht nur dieses reiche Milieu, sondern auch die soziale Ungleichheit und kulturelle Vielfalt der südafrikanischen Gesellschaft nach der Apartheidära in den Blick. Der Kriminal­beamte De Vielliers stößt bei seiner Suche nach dem Killer von Norman Ware auf ein Netz von Lügen und Ungereimtheiten in dieser exklusiven Siedlung. War Zufall im Spiel oder war der angesehene Rechts­anwalt doch kein unschuldiges Opfer?

 

Der Mord an Rechtsanwalt Norman Ware rief tiefe Bestürzung bei den Bewohnern der exklusiven Öko-Anlage San La Meer hervor. Nicht etwa, weil Rechtsanwalt Norman Ware ein beson­ders beliebter Mann gewesen wäre oder weil er eine besondere Stellung in der San La Mer Gemein­schaft inne gehabt hätte, obwohl er ein namhafter und sehr anerkannter Anwalt war. Der Mord an Rechtsanwalt Norman Ware (und er wurde immer nur Rechtsanwalt Norman Ware genannt, niemals einfach Norman oder Mr. Ware oder etwa Ware, nach Privatschul-Manier) erregte in der luxuriösen geschlossenen Wohnanlage großes Aufsehen, weil er nicht hätte geschehen dürfen. Die Bewohner von San La Mer bezahlten eine saftige Summe, und das keines­wegs widerwillig, um sicherzustellen, dass solche Dinge nicht passierten. Ihre kollektiven, exorbitanten Gebühren finanzierten den elektrischen Zaun um das Gelände der Anlage und die infraroten Strahler, die jede menschliche Bewegung aufspürten, wo sie nichts zu suchen hatte. Sie bezahlten für die Sicherheits­leute, die sieben Tage vierundzwanzig Stunden um die Anlage patrouillierten, beide Eingangstore bewachten und dabei den Zugang zur Anlage genau kontrollie­rten. Das sollte sich für die Bewohner von San La Mer auszahlen, die Kosten sollten sich auszahlen und der Umstand, dass sie jedes Mal, wenn einer ihrer Freunde zu einem Kaffee oder Sundowner vorbeikommen wollte, den Kontrollraum anrufen mussten, um einen speziellen Zugangscode zu erhalten, sollte sich auszahlen, so dass sie sicher sein könnten, nicht in ihrem Haus ermordet zu werden. Der Mord an Rechtsanwalt Norman Ware ließ diese Versiche­rung äußerst dünn werden und entwertete ihr Eigentum über Nacht. Natürlich war es auch die Art und Weise, wie Rechts­anwalt Norman Ware ermordet wurde, die sie in Schrecken versetzte. (S.1-2)

 

 

Für die weitere Lektüre:

Gwala, Mafika Pascal. 1982. No more Lullabies (Staffrider). Bramfontein: Raven Press.

Govender, Rubendra. 2008. Sugar Cane Boy. Reservoir Hills: Bambata Publishing.

Kendal, Rosamund. 2010. The Angina Monologues. Johannesburg: Jacana Media.

Kendal, Rosamund. 2012. The Murder of Norman Ware. Johannesburg: Jacana Media.

Hassim, Aziz. 2009. Revenge of Kali. Johannesburg: STE Publishers.

Luthuli, Albert. 1963. Mein Land mein Leben. Autobiographie eines großen Afrikaners. München: Chr. Kaiser Verlag. Übersetzung ins Deutsche von Gabriele C. Pallat. (Engl. Original: 2006 (1962). Let My People Go. Cape Town: Tafelberg).

Makhanya, Thoko Remigia. 2003. “A Noble Woman of Africa”. In: Women Writing Africa. The Southern Region, vol.1. New York: The Feminist Press, p.457-460. (Preisgedicht auf Nokukhanya Luthuli. Einführung M. J. Daymond).

Mofolo, Thomas. 1988. Chaka Zulu, Zürich: Manesse Verlag. (2000. Zürich: Unionsverlag) Übersetzung aus dem Sesotho und Nachwort von Peter Sulzer. (Original in Sesotho: Thomas Mofolo. 1961(1926). Chaka, Morija, Sotho).

Stewart, Dianne. 2007. The Guineafowl’s Spots and other African Bird Tales. Cape Town: Struik Publishers.

Stewart, Dianne. 2007. The Gift of the Sun. A Tale from South Africa. Frances Lincoln Childrens’ Books.

Stewart, Dianne. 2005. The Zebra’s Stripes and other African Animal Tales. Cape Town: Struik Publishers.

 

Ausflug Nordküste

 

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